Dusche mit Temperaturregler

Jeder hat seine kleinen Geheimnisse. Ich hänge z.B. nicht an die große Glocke, weshalb ich hin und wieder gern auf Reisen gehe: es ist wegen der Dusche. Die Dröppelminna über der heimischen Badewanne ist einfach eine Zumutung. Auswechseln kann ich sie nicht. Die ganze Installation ist uralt, in DDR-Tagen improvisiert. Außerdem kann ich dem Vermieter nicht ins Handwerk pfuschen. Also bleibt nur die Vorfreude auf die eine oder andere Dienstreise, genährt durch die Erfahrung, dass 99 von 100 aushäusigen Duschen mehr hergeben als die heimische Frust-Technik.

So habe ich mich letzte Woche wieder wohlig unter einer Gastgeber-Dusche geräkelt. Eine Wasserstrahlmassage, von der ich daheim nur träumen kann. Rutschfester Boden, angesichts meiner etwas wackeligen Großvaterknie. Und dann, die Krönung, ein akkurater Temperaturregler; alles möglich von 20 bis 45 Grad. Mein Spieltrieb erwacht. Zwischen 30 und 35 Grad lasse ich die Temperatur wandern, rauf und runter. Das tut den alten Knochen gut. Ich darf genießen, so lang ich mag. Der Unterschied zwischen 30, 32, 33, 35 Grad wird zum Erlebnis. Und zum Schluss für den Kreislauf noch mal kalt nachspülen.

Beim anschließenden Frühstück laufen im Hintergrund Radionachrichten. Der Umweltminister wird zitiert mit seinen sehr gedämpften Erwartungen an die UNO-Klimakonferenz im Doha, Katar. Anschließend kommt ein Experte zu Wort. Er sagt, was ich längst weiß. Aber heute morgen, nach dieser Wonne unter der Dusche, mag ich es gerade nicht hören: wenn Völker und Regierungen die Dinge so weiter laufen lassen, wie sie laufen, dann wird die globale Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um fünf Grad steigen. Fünf Grad, die für katastrophale Verschlechterungen der Lebensbedingungen stehen. Zwei Grad, ein Jahrzehnt lang als irgendwie erträglicher Anstieg propagiert, dies Ziel sei längst verfehlt. Weder Bürger noch Regierende hätten das Nötige getan bzw. unterlassen.

Ich erinnere mich: fünf Grad, das ist schon was. Aber was ist ein Sekundenerlebnis unter der Dusche verglichen mit der Veränderung aller klimatischen und biologischen Kreisläufe, wie sie radikaler Temperaturanstieg mit sich bringt. Außer dem kleinen Denkanstoß hat das Eine mit dem Anderen nichts zu tun. Fünf Grad global, das ruiniert alle heute gültigen Rahmenbedingungen für Nahrungserzeugung, Wasserversorgung, Gesundheitspolitik, Katastrophenschutz, Erosionschutz, Küstensicherung, Friedenspolitik – kurzum für alles, was die Zukunftsvorsorge der menschlichen Gesellschaft ausmacht. Und dabei haben wir nur an uns Menschen gedacht. Aber weder unsere Leiber noch unsere Seelen können ohne unsere Mitgeschöpfe existieren, die Tiere, Bäume und Pflanzen. Unsere Unvernunft ist auch ihr Untergang und macht wiederum den Überlebenskampf künftiger Menschengenerationen umso hoffnungsloser.

Die Fünf-Grad-Meldung nach der Fünf-Grad-Spielerei unter der Dusche: für meine Stimmung ist sie zur Unzeit gekommen. Aber gibt es eine solche Unzeit überhaupt noch für uns, am Rande der Klimakatastrophe? Ich denke, die Frage beantwortet sich von selbst.

Und auf die lebensfeindlichste Ausrede will ich gar nicht erst verfallen: dass ich die schlimmsten Zeiten des 21. Jahrhunderts natürlicher weise nicht mehr erleben werde. Erwachsene Kinder und heranwachsende Enkel werden betroffen sein – und mit ihnen alles, was geliebt wird, von Menschen und von ihrem Schöpfer.

Aber eine Dusche mit funktionierender Temperaturregelung wäre doch eine feine Sache. Dafür verzichte ich gern auf Auto und Flugzeug.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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Eine Antwort zu Dusche mit Temperaturregler

  1. Lieber Zeitgenosse: dankeschön für diese so sinnliche und für so viele auf der eigenen Haut spürbare Darstellung – so kann jede/r mal nachspüren, wie unser Planet sich fühlen könnte. Die Australier kriegen es ja akut heftig mit. Wer Ohren hat zu hören….

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