Ebola – Blamage der Unheilspropheten?

Ein wenig ist er wie ein vertrauter Kumpel, der alttestamentliche Prophet Jona. Nein, nicht, dass ich meine Mühen vergleichen wollte mit den monströsen Herausforderungen, die dieser Mensch bei den Hörnern packen musste. Sie erinnern sich: das ganz spezielle Höhlenerlebnis im Verdauungstrakt des Meeresungeheuers und dann der Hochrisiko-Job, dem Großkönig und dem Volk von Ninive eine letzte Warnung überbringen zu müssen. Volles Risiko, ohne Netz! Nein, das ist wirklich eine andere Liga, verglichen mit den nahezu risikolosen gesellschaftspolitischen Konfrontationen, die ein kirchlicher Mitarbeiter in Deutschland-West hin und wieder durchzustehen hatte.
Deshalb beziehen sich meine brüderlichen Empfindungen für Jona auch nur auf eine bestimmte Szene dieser Prophetenerzählung, die im dicken Alten Testament gerade mal zwei Seiten einnimmt: Jona hat seinen Job gemacht. Und er muss, ja muss erleben, dass Volk und Großkönig tatsächlich auf seine Warnung hören. Ihrem Schuldbekenntnis lassen sie sogar Taten folgen. Und Gott tut das, was er am allerliebsten tut: vergeben. Ninive, das große Gemeinwesen hat eine Zukunft, einschließlich der Tiere, wie ausdrücklich vermerkt wird.
Und der Bote des Strafgerichtes reagiert verbittert, stocksauer. „Ich hab es doch geahnt, dass du am Ende barmherzig bist,“ haut er seinem inkonsequenten Gott um die Ohren. Er will nur noch sterben.
Der enttäuschte Unheilsprophet, eine zu Herzen gehende Randfigur der Barmherzigkeit. So jammerig ist ihm zumute, dass ihm sogar eine wegen Schädlingsbefall zusammengesackte Schattenpflanze nervlich den Rest gibt.
Das zerfetzte Nervenkostüm des Jona kam mir in den Sinn, vorhin, nach diesem Telefonat. Kein Name, zur Begrüßung stattdessen ein paar Schimpfwörter; und dann die giftige Frage, wieviel Prämie ich denn bekäme von den Spenden, die ich durch meine Lügen über die Ebola-Epidemie in Westafrika den Leuten aus der Tasche gezogen hätte. Inzwischen sei ja klar, dass das alles maßlos übertrieben war. Ein paar abergläubische Neger, die Hygieneregeln missachten, das war Alles. Aber Leute wie ich hätten vielen Menschen Angstträume eingeredet und sich an ihnen versündigt. Mein Versuch, die Tirade doch noch in Richtung eines Gesprächs zu lenken, war vergeblich. Nach vielleicht zehn Minuten habe ich aufgelegt – als der Anrufer anfing, darüber zu phantasieren, wie man Leuten wie mir das Handwerk legen könne. Dabei war ihm offenkundig mehr nach öffentlicher Diffamierung als nach Strafanzeige zu Mute.
Ein paar Minuten lang überkamen mich Jona-Gefühle. Das hast du nun davon! Im Herbst letztes Jahr habe ich die Alarmrufe der UNO und der Weltkirche in der kleinen Welt meiner Heimatkirche an die weiter zu leiten versucht, auf die es in solchen Fällen ankommt. Ich habe weiter gesagt, was ich selbst gelernt und begriffen hatte, einschließlich der hoffnungsvollen und auch der schlimmsten Szenarien – alles, wie es das Handwerk von Kommunikation und Mobilisierung verlangen.
Pieter Lastman - Jonah and the Whale - Google Art Project
Und jetzt muss ich mich dafür von Leuten anpöbeln lassen, denen wahrscheinlich durch die Nachrichten vom Rückgang der Ebola-Neuinfektionen ein Stein vom Herzen fällt; die ihre zwischenzeitliche Angst-Lähmung an vermeintlichen Unheilspropheten abreagieren wollen. Selbstmitleid à la Jona? Dann muss die Kraft, die Zugriff auf mein Gewissen hat, wohl auch mir den Kopf zurecht rücken – wie im Fall Jona!
Oder hinkt der Vergleich, nicht nur auf einem, sondern gleich auf beiden Beinen? Die Stammtisch-Analyse „Alles halb so schlimm“ im Falle Ebola ist ja wirklich hanebüchener Blödsinn. Wenn sich unsere Massenmedien im Advent 2014 weitgehend umorientiert haben, weg von Ebola, hin zu Flüchtlingszahlen, Pegida und IS, dann hatte das ja fast gar nichts mit den alltäglichen Leiden der Leute in Westafrika zu tun. Jede lang andauernde Not schrumpft unter den Zwängen der Nachrichtenindustrie bald zur beiläufigen Randnotiz, getreu der berühmten Meldung von der Menschen verschlingenden Westfront im Ersten Weltkrieg „Im Westen nichts Neues.“ Die Hölle, hieß das auf deutsch, war an diesem Tag für die armen Teufel genau so schrecklich und unentrinnbar wie am Tag davor und am Tag danach.
„In Westafrika nichts Neues“, im November, im Dezember 2014. Alltag mit gespenstischen Beerdigungen ohne Körperkontakt, mit Kindern in endlosen Zwangsferien, mit brach liegenden Feldern, mit Zwangspausen bei Handel und Fabriken, ohne staatlichen Einkünfte, die Gemeinwesen wie tot. So gut wie niemand von uns, der auch nur 24 Stunden in diesem Chaos zurecht gekommen wäre. All das wird nicht dadurch besser, dass Nachrichtenredaktionen ihre Meldungen irgend wann anders sortieren. Weder im Fall Ebola, noch bei irgend einem anderen lebensfeindlichen Dauerzustand. Katastrophen-Helfer kennen das Problem aus dem Eff-Eff. Aus den Nachrichten, aus dem Sinn – aber nicht aus der Realität.
Aber jetzt, Ende Januar 2015, hat mein Anrufer ja mitbekommen, dass selbst die Weltgesundheitsorganisation der UNO an den Sieg über die Ebola-Epidemie glaubt, nicht heute, nicht morgen, aber doch in planbarer Zukunft.
Stopft diese Hoffnung jetzt doch noch alle Whistleblower vom Sommer/Herbst 2014 in die Schublade der verantwortungslosen Unheilspropheten – auf die man im Wiederholungsfall ganz gewiss nicht wieder hören wird?
Alle Vernunftgründe, von Menschlichkeit gar nicht zu sprechen, stehen dagegen.

Alles war gut in Ninive, als Jona in seine Depression fiel. Nichts ist wieder gut für die mit Ebola geschlagenen Gemeinschaften in Westafrika, auch jetzt noch nicht, trotz des deutlichen Hoffnungsschimmers am Horizont. Die Neuinfektionen, derzeit vor allem in Sierra Leone, hätten vor einem halben Jahr noch die Menschheit schockiert. Heute werden sie verständlicherweise uminterpretiert zu guten Nachrichten. Und die Heilung der Gemeinschaften der Überlebenden, im Dorf, im Stadtviertel bis zur Nation? Das ist ein Weg, dessen Mühen wohl so unermesslich sein werden, dass es gnädig ist, heute noch nicht alles zu wissen.

Der Selbstvergleich mit Jona, dem Unheilsprofeten hinkt also wirklich. Aber es ist auch künftig gut, zu merken, wann man dran ist.

26.01.15

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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