Ihr Fahnenträger: wir müssen miteinander reden!

Was war das denn nun, vorhin gegenüber von Supermarkt und City-Parkplatz im kleinen Shopping-Quartier des brandenburgischen Städtchens Werder an der Havel? Eine deutliche Überzahl von Polizisten mit Demo-Ausrüstung muss Hütehund spielen für eine Kleingruppe von Neonazi-Schäfchen. Unter dem noch relativ unverbrauchten Logo „Partei Dritter Weg“ versuchen sie fern ihrer bayrischen Quellen jetzt den Start in Brandenburg.

Die Polizisten haben einen wenig strapaziösen Job. Die auf doppelte Tomatenwurfweite separierten Protestierer haben gar keine Tomaten dabei. Ein paar Dutzend Trillerpfeifen und diverse Poster, auf denen das Adjektiv „bunt“ als wünschenswertes Merkmal der Kommune genannt wird, fungieren als Meinungsmedien. Kleine Ansteckfähnchen mit der Aufforderung „Flüchtlinge willkommen heißen“ sind schon die Spitze dessen, womit man Neonazis zur Weißglut reizen kann. Vor allem die hier. Ihr ganz spezieller Homepage-Service gibt Rat zu der Frage „Wie verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft?“ samt interaktiver Lagekarte aller Flüchtlingsunterkünfte im Land. Reicht da unsere mehr oder weniger wortlose Anwesenheit, frage ich mich?

Die Bild- und Wortsprache der kleinen Neonazi-Gruppe ist einfach zu verstehen. Das Schlüsselwort des Tages lautet „Partei“. Das macht es den Jurist-innen in Bund und Ländern ein wenig schwerer, die Gruppe demnächst zu verbieten, wie das mit Vorgängerorganisationen ohne Parteistatus geschehen ist. Wir Brandenburger Kleinstädter werden offensichtlich für ahnungslos genug gehalten, dass uns der Parteiredner die Mär der spontan von frustrierten Bürgern aller politischer Himmelsrichtungen gegründeten nagelneuen Partei zuzumuten wagt.

Gewissen Eindruck macht mir die Doppelsinnigkeit des Parteinamens, grafisch dargestellt als römische III, umgeben von einem Lorbeerkranz im Mussolini-Design. Dritte Wege werden ja häufiger in verfahrenen politischen und sozialen Konflikten als der Weisheit letzter Schluss aus der Tasche gezogen. Auch meine Kirche verfährt so beim Arbeits- und Streikrecht, mit erheblichen Glaubwürdigkeitsverlusten. Andererseits löst die III jenseits der offiziellen Deutung unfehlbar die Erinnerung an das 3. Nazi-Reich aus, das politische Walhalla der braunen Szene im frühen 21. Jahrhundert. Darauf angesprochen, werden sie genussvoll dementieren.

Alles andere an dem Aufmarsch gegenüber dem ehrenwerten „Kaufland“ ist von durchschlagender Mickerigkeit, gemessen am Rabaukentheater der ersten „Kampfzeit“ vor 90 Jahren. Eine Handvoll junger Burschen im politischen Partnerlook hat breitbeinig rechts und links vom Rednerpult Aufstellung genommen und hält die Fahne hoch bzw. aufrecht. Ihre politischen Urgroßväter hatten als Saalschutz noch deutlich martialischere Aufgaben.

Der Redner ist eine Zumutung für jeden Werbekundigen. Recht kleinformatig, gemessen an den Fitness-Studio-Typen rechts und links. Aber das war Reichsleiter Goebbels auch. Viel schlimmer, und darin wird mir Volksgenosse Dr. Goebbels ohne Zögern zustimmen, ist die Sonnenbrille, die den Gründungsredner von seinem Wahlvolk trennt. Den Blick gesenkt, klebt er fest am Manuskript. Dabei liest er vom Blatt einen Text ab, der in Sprachstil und Wortschatz zum Redner ungefähr so passt wie Senf auf das Honigbrötchen.

In mir steigt das überflüssige und riskante Gefühl der Überlegenheit eines politischen Aktivisten vom anderen Ufer auf. Vielleicht bleibt diese Politsekte ja wirklich in der Lächerlichkeit stecken. Aber was, wenn ein geschickter Führer die offensichtliche Schwäche des Auftritts im Havelland gegenüber seinen Burschen umdeutet? Wenn er den Heroismus einer neuen Kampfzeit wachzukitzeln versteht? Dann hätte die x-fache Mehrheit von Polizisten und protestierenden Bürgern für die Neonazi-Strategen sogar ihr Gutes. Wären wir also besser zu Hause geblieben? Zumal wir ohnehin nicht reden wollten oder durften? Das Bild eines verlorenen Grüppchens der Pfadfinder des „Dritten Weges“, verfassungsgemäß und erkennbar widerwillig bewacht von einer Hundertschaft Bereitschaftspolizei, aber ansonsten von shoppenden Verbraucherinnen und Verbrauchern links liegen gelassen, das hätte schon was! Aber das bleibt wohl doch ein Wunschbild. Die Wirklichkeit eines Samstagmorgens in einer deutschen Innenstadt würde so ein Bild schwerlich liefern.

Dann bleibt auf die Schnelle und ohne eine überzeugende Rednerin tatsächlich nur die entschlossene Haufenbildung. Sie liefert der Lokalredaktion immerhin die unstrittige Meldung, wer die meisten Follower sein eigen nennen durfte. Ein relativ schmalbrüstiges Argument, aber immerhin.

Eine Frage bleibt: wie kommen wir Alten, die wir das Original des mörderischen Staates nicht nur aus Geschichtsbüchern oder gar Propagandalügen kennen, an diese 20-jährigen Fahnenträger rechts und links vom Podium heran? Wir müssen dringend miteinander reden!

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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