In 30 Jahren leere Kaffeetassen? – Verdorrte Äcker schon heute!

Zum Start in den Tag eine heiße Tasse Pfefferminztee? Gott bewahre! Ich lasse dahin gestellt, ob es die Dosis Koffein ist oder das sonstige Drumherum meiner Kaffeezeremonie, gar die etwas selbstgerechte Genugtuung bio-fairen Genusses – oder alles zusammen. Jedenfalls waren es im letzten halben Jahrhundert recht wenige Tage, die ich ohne mein Kaffeeerlebnis auf die Hörner nehmen musste.

Da trifft es sich ausgezeichnet, dass sich mein Erwachsenenleben abspult zwischen der Ära Muckefuck nach 1945 und dem Kaffeenotstand um das Jahr 2050, der erst meine Enkel in voller Grausamkeit treffen wird! Dann nämlich soll etwa die Hälfte der heutigen Kaffee-Anbauflächen durch den Klimawandel, sprich durch dauerhaft gestiegene Temperaturen, unbenutzbar geworden sein.

Nach dem, was man heute so weiß, was man in Modellrechnungen zugrunde legen darf, müssten vor allem die Kaffeegiganten Brasilien und Vietnam dann ihre Plätze räumen. Und die Standorte für klimaempfindliche Agrarprodukte, wie Kaffee eines ist, können nicht wie Textilfabriken oder Smartphone-Fließbänder alle paar Jahre wo anders hin verlegt werden, wo die Arbeiterinnen noch ein paar Groschen billiger sind.

Coffea arabica, der Kaffeebaum aus Äthiopien, hat sich auch nach vielen Jahrhunderten im lateinamerikanischen Exil nicht sein Verlangen nach einem gleichmäßigen, vor allem nicht zu heißen Bergklima abgewöhnt. Überall, wo die Temperaturen Mitte des Jahrhunderts regelmäßig durch die 30-Grad-Decke gehen werden, wäre mit dem Kaffeeanbau Schluss. In Lateinamerika blieben dann Millionen von Säcken für Arabica-Kaffee leer, dem Kaffee, der das meiste Geld bringt, weil die Kaffeegemeinde ihn bevorzugt.

In Südasien fände aber auch der kurze Boom des preiswerteren Coffea robusta, des Robusta-Kaffees aus Vietnam ein dramatisches Ende. Manchen Deutschen wird das nicht völlig kalt lassen. Denn der gigantische Kaffeesektor Vietnams ist u.a. das Prunkstück der brüderlichen, aber keineswegs selbstlosen DDR-Entwicklungshilfe. Kein klassisches Kaffeeland, begann Vietnam in Vorwendejahren mit dem rasanten Ausbau des Kaffeesektors. Der Förderer DDR war zugleich ein begieriger Abnehmer, eine Win-Win-Situation für die Klassenkampf-Brüder. Aber auch über Vietnams Kaffeeplantagen senken die Klimaanalytiker inzwischen ihre Daumen.

Ob und wie viele Tassen in 30 Jahren vielleicht leer bleiben; ob Kaffee zu einem Luxusgetränk werden wird, so wie der Hering sich gewandelt hat vom Arme-Leute-Fisch zum nicht ganz billigen Edel-Matjes, niemand wird sich heute darauf festlegen können.

Aber der Ausfall landwirtschaftlicher Anbauflächen durch Klimawandelfolgen ist längst eine alltägliche Erfahrung und Tatsache geworden. Nur betrifft sie in der Regel keine Ernten, deren Verlust uns auffallen würde. Es handelt sich ja nur um die Grundnahrungsmittel kleiner Leute rund um den Äquator. Sollen sie doch einfach in den Supermarkt gehen! Da wird alles angeboten, was die globale Convenience-Industrie zu bieten hat. Störend wird es erst, wenn am Horizont der Ausfall einer unverzichtbaren Zutat unseres Lifestyles droht. Na ja, die weltwirtschaftliche Größenordnung ist auch nicht ganz ohne. Kids und Alte eingeschlossen, hängen an die 100 Millionen Menschen auf Gedeih und Verderb an den äußerst bescheidenen Einkommensmöglichkeiten des Kaffeesektors, wie wir ihn heute noch kennen.

Vermutlich werden sich die Gen-Doktoren beschleunigt der klimakonservativen Kaffeebäume annehmen. Mitte des Jahrhunderts wissen wir dann mehr. Ob der Begriff Bio-Kaffee dann einen ganz neuen Inhalt bekommt. Ob ein cleverer Investor die historische Zichorien-Fabrik für „Blümchenkaffee“ in unserer Nachbarschaft auferstehen lässt.

Nicht nur, weil ich das nicht mehr erleben werde: die hochgerechnete Bedrohung unserer Kaffeezivilisation ist auf den zweiten Blick wirklich ein Klacks, verglichen mit der heute schon tödlichen Kombination aus Klimawandel-Verlusten an Acker- und Weideböden und dem gigantischen Landraub, zu dem sich mächtige Staaten und mindestens so mächtige Investoren aufgemacht haben – ausgerechnet da, wo die Kleinbauern der Erde um ihr Überleben kämpfen.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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