Advents-Verstopfung im Briefkasten

 

Beim Kauf unseres Briefkastens haben wir großzügig geplant. Außerdem haben wir uns per Aufkleber unerwünschte Werbesendungen verbeten. So bleiben wir weitgehend von Papierstau vor der Wohnungstür verschont, trotz Tageszeitung und einigen Zeitschriften-Abos.

 

Letzten Montag früh allerdings, da ragt der Briefkastendeckel im Nieselregen hilflos in die Luft. Oben aus dem verstopften Schlitz lugen angeknautschte nasse Papiere in saisonalem Rot und Grün. Es ist der Montag vor dem ersten Advent. Einige meiner Mitrentner müssen Extraschichten durch unserer Großdorf gelaufen sein. Die Werbeagenturen, bei denen sie dazu verdienen, brauchen jetzt jede Hand fürs vorweihnachtliche Stoßgeschäft. Wer weiß, vielleicht bekommen sie sogar den Tipp, Anti-Werbungsaufkleber im novemberlichen Halbdunkel zu übersehen.

 

Ich schließe die Box auf und bemühe mich, den Wust zu entwirren. Gleich um die Ecke steht die Papiertonne. Aber hinter jedem Knäuel von Reklamepapier klemmt und klebt eine neue Schicht. Zwischendrin ein Brief vom Finanzamt, vermutlich der Steuerbescheid. Als nächstes zerre ich zwei dicke Anzeigenblätter heraus, die sich als echte Zeitungen ausgeben. Dann wieder Prospekt um Prospekt, Grüße von etlichen Großen aus der Bundesliga des Einzelhandels und von ihren regionalen Mitbewerbern. Ganz hinten im Kasten, mehrfach eingerissen, aber noch erkennbar die Tageszeitung.

 

Den ganzen Wust vor mir auf der Treppe, fasse ich spontan den Entschluss, mit dem Gang zur Papiertonne zu warten und mir diesen Arm voll geknautschter Adventsbotschaften etwas genauer anzusehen.

 

„Es kommt ein Schiff geladen…“

 

Der Zufall spielt mir als Erstes den 12-Seiten-Katalog einer Billigkaufhauskette in die Hand; sparsames jahreszeitliches Design: Tannengrüngirlande und goldene Schleifchen. Im Angebot alles von der Herrenuhr übers Kinderspielzeug bis zum braven Dessous für die Dame. Werblicher Minimalaufwand.

 

Ein Konkurrent bemüht auf seiner Seite Eins immerhin einen Schoko-Weihnachtsmann zum „Knallerpreis“, – um dann Alles und Jedes bis zu Männerduft und Ravioli im üblichen Vier-Briefmarken-Bildchen-Format anzupreisen.

 

Dieser Baumarkt hier scheint als erster unter meinen Werbebotschaftern ein kleines unternehmerisches Wagnis einzugehen. Er bietet zwar ebenfalls auf 26 Seiten nur sein Allerweltssortiment an – was soll er auch sonst tun? – aber er lockt mich auf Seite eins immerhin mit einer frisch geschlagenen Blaufichte für 12,90 € an den Stadtrand. Mein komplettes Adventserleben seit Kindesbeinen rebelliert zwar gegen Weihnachtsbäume am 1. Advent. Aber ungefähr 100 cm echter Baum? Und das garantiert an allen Standorten der Kette?

 

Nun, auf dies Angebot kann ich eher gutmütig verzichten. Da nervt mich der „Adventsrabatt“ einer Möbelhauskette schon mehr. Aber die Christenheit hat nun mal kein Copyright auf das Wort Advent.

 

Einst gemeint und gelebt als Zeit der Hoffnung für die kleinen Leute – die, die Hunger und Durst haben nach Gerechtigkeit, soll „Advent“ im Werbedeutsch heute Schnäppchengier wachkitzeln.

 

Da finde ich die Nikolaus-Anleihe eines Elektronikriesen in ihrer Plattheit eher harmlos: möglichst viel „einsacken“ soll ich in seinen Hallen. In einen großen roten Sack, wie der himmlische Rentierschlitten-Lenker ihn mit sich führt. Ich darf mich dabei auch gern verschulden, indem ich 0%-Finanzierung gleich mit „einsacke“.

 

Ganz unzerknautscht hat die 10seitige Einladung in die Beauty-Abteilung eines notleidenden Kaufhauses die Briefkastenleerung überstanden. Wobei es an mangelnder Lebenserfahrung liegen kann, dass ich mir Riechwässer nun wirklich nicht als weihnachtlichen Ausdruck von Freundschaft oder gar Liebe vorstellen kann.

 

Fundsache Nr 7 hat den Vorzug einer wirklichen Orientierungshilfe im Ozean der Weihnachtseinkäufe: eine „Große Spielwaren-Aktion“, proklamiert von einer Drogeriekette. Mit Großvater-Motivation blättere ich kurz. Nicht unerwartet fasst mich das Grauen angesichts von massenhaftem Barbie- und Weltall-Plastik. Aber tiefer, wichtiger, wesentlicher – und nicht von diesem Unternehmen zu verantworten -, piekst wieder mal die Frage, was wir unseren all zu oft mit Käuflichem zugemüllten Enkeln wirklich schuldig sind, familiär, gesellschaftlich und global.

 

Schnell weiter! Ich will nicht den ganzen Morgen mit dieser unerwünschten Briefkasten-Füllung verplempern. Der nächste Prospekt ist dann auch eher von der simplen Sorte: fette 48 Seiten. Aber es geht allgemeinverständlich los, mit frischem Schweinenackenbraten. Nur das übliche, tausend Sachen für Kenner dieses Supermarktes. Dazu, Seite 1 rechts oben, der jahreszeitliche Hinweis auf eine „Wunschbaum-Aktion“, das eingepreiste Weihnachts-Sponsoring für eine Kinder-Sozialeinrichtung.

 

Der Zufall will es: zum Schluss als geradezu schickes Magazin der „Festtags-Anzeiger“ der regionalen Handwerkbetriebe, Geschäfte und Dienstleister. Etliche bekannte, sogar einige vertraute Namen. Eher eine nützliche Sammlung von Adressen und Telefonnummern. Aber damit der vorweihnachtliche Konsumeifer keine Schrammen bekommt, bleibe ich prompt bei den Ratschlägen einer Bank für ausdrücklich „weihnachtliche“ Investmentgeschäfte und dann bei einer Einladung zum preisgünstigen Häuslebau hängen.

 

So, der Briefkasten vom Montag vor dem ersten Advent wäre leer. Der Inhalt reif für die Papiertonne. Wären da nicht noch die beiden voluminösen Anzeigenblätter. Eines kommt daher mit dem großspurigen Namen „Generalanzeiger“. Dazu passen Format und Volumen einer gestandenen überregionalen Tageszeitung; allerdings nicht der Anteil der Artikel, die tatsächlich journalistischen Bemühungen entstammen. Seien wir nicht kleinlich und setzen ihn mit 15 Prozent an. Der Rest ist Werbung mit Weihnachtsgetue in Wort und Bild.

 

Der inspizierte Haufen liegt vor mir. Ordentlicher, als ich ihn aus dem zugestopften Briefkasten rupfen konnte. Wenn ich´s recht verstehe, ist das der geballte Versuch, mich zum verantwortungsbewussten Adventsbürger abzurichten. In Erwartung des Heilandes der Armen soll ich shoppen, shoppen, shoppen: das Zeugs, das ich sowieso kaufe und zusätzlich möglichst viel von dem, was sich gefällig mit den Etiketten Freude, Liebe, Familie voll pappen lässt. So wie der selbstbewusste Rüde an jeden Baum pinkelt, hat es der Einzelhandel mit allen Briefkästen in unserer Straße gehalten.

 

Und das, obwohl unser Sachsen-Anhalt in Deutschlands Armutsstatistik ganz weit vorn und folglich in der Kaufkraft ganz weit hinten liegt. Aber darum hält der Supermarkt-Nikolaus mir ja auch diese besonders preiswerten Bratenstücke entgegen, Fleisch, bei dem ich mich besser nicht nach dem elenden Leben der Schlachttiere erkundige. Doch merke: Arme wollen dabei sein, wenn es weihnachtet. Ich muss damit rechnen, dass dieses bunte Werbepapier, das bei mir Hohn und Spott auslöst, in anderen Wohnungen mit not-geschultem Blick durchforstet wird nach Angeboten, die bezahlbare Festtagskulisse vorgaukeln – und dann ab, solange das Angebot gilt: Steht ja auf jedem Prospekt unübersehbar drauf!

 

Nach diesem Intensivstudium adventlicher Verbraucherfreuden, das ich dem verstopften Briefkasten verdanke, habe ich nun zweimal geschlafen Jetzt schickt mich meine Frau tatsächlich zum Einkaufen: wir brauchen: erstens : einen Adventskranz ohne jede Dekoration. Weil wir unserer Wohnung gerade einen neuen Anstrich verpassen, kommt meine Frau dieses Jahr nicht dazu, ihn selbst zu binden. Und dann muss ich, zweitens, noch rote Kerzen finden. Wir haben zwar reichlich weiße im Haus. Aber da bin ich eigen. Auf den Adventskranz gehören rote Kerzen seit ich denken kann. Und wir brauchen eine Reserve. Denn nach den schönen Regeln des Advent: erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier! haben die Kerzen natürlich eine ungleiche Brenndauer.

 

Es war mir ein Vergnügen, Ihnen unsere komplette Einkaufsliste zum ersten verkaufsoffenen Adventswochenende offenzulegen. Ansonsten werden wir es auch 2013 genießen, uns wieder komplett von allen Geschenk-Einkaufs-Schlachten abzumelden. Weihnachten mit ein paar in der Familie gepflegten Sitten, auch solchen, die etwas kosten, aber ansonsten zwischen den Erwachsenen ohne abzuarbeitende Geschenk-Checklisten. Schönstes Geschenk sind Besuche und die damit verbundenen Erlebnisse.

 

Daran werden auch weitere Briefkastenfüllungen nichts ändern.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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