Beten – oder beten lassen?

Fastenaktion 2013, 25. März

Bei einem bedeutenden Eine Welt-Hilfswerk, das insbesondere Christenmenschen um Unterstützung bittet, soll es dieser Tage eine engagierte Diskussion gegeben haben. Klar, in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit muss Sachverstand ganz oben stehen. Aber ist auch das Gebet für etwas gut?

Von vielen Spendern, vornehmlich Spenderinnen, wird es ja vermutlich immer noch gepflegt. Aber auch unter denen, die sich bei den Partnerorganisationen im Süden der Welt ins Zeug legen, sind nicht wenige in der Wolle gefärbte Christinnen und Christen.

Ist das Gebet für die, die dazwischen stehen, zwischen den Spendern und den– wie es im Diakoniesprech so schön heißt – „Begünstigten“, dann doch mehr als ein Folklore-Faktor? Etwas, dass im Sinne von „Diaconical Correctness“ mindestens Erwähnung finden müsste? Etwas, dass sogar auf tatsächliche Nützlichkeit abgeklopft werden sollte? In der wissenschaftlichen Medizin interessiert man sich ja auch für allerlei Phänomene, jenseits nüchterner Laborwerte; nach dem Motto „Wer heilt, hat Recht“?

Ich wäre gern Mäuschen gewesen bei dieser Diskussion. Ist die Stimmungslage unverändert so, wie ich sie seit einem halben Jahrhundert in den Evangelischen Kirchen und bei den in diesem Teich schwimmenden freien Fischen beobachte? Entlang der Gretchenfrage „Wie hältst Du es mit dem Gebet und anderen eindeutigen Formen eines christlichen „Coming Out“ sortieren sich die beiden christlichen Lager der Teilhabe an der Weltverantwortung. Man ist, bzw. man war wenigstens in tiefer Abneigung eng verbunden. Die Gebets-Freaks wurden geortet unter dem Schirm der großen Missionswerke, von denen jede Region des Vaterlandes das seine hat, und bei den Evangelischen Freikirchen. Dazu bei den vielen kleineren Vereinen, Hilfswerken, Initiativen, die nicht an der Leine einer Amtskirche baumeln. Fromm sind sie angeblich alle. Aber die Kritiker vom anderen Ufer pappen ihnen zusätzlich die hässlichen Buttons mit der Aufschrift „Vorsicht – Reaktionär“ an Anzug und Kostüm. Wer mag schon mit Leuten beten, die Homosexualität und Aids mit Maßnahmen aus dem politischen Horrorkatalog bekämpfen würden? Leute, denen Schlagworte wie „Befreiungstheologie“ ein rotes Tuch sind?

Umgekehrt wird genauso ein Schuh daraus. Ihr wollt in Auftrag und Namen der Kirche Jesu Christi arbeiten? Aber ihr benehmt euch, als ob euch euer Auftraggeber einfach nur peinlich ist. Ihr haltet hoch, was ihr eure „policy“ nennt. Aber die Bergpredigt bleibt ängstlich unter der Ladentheke.

Fromme Mission hier – politisch ambitionierte, aber christlich indifferente Hilfswerke dort. International, ökumenisch, gilt das Szenario als eine Art Alleinstellungsmerkmal des deutschen Protestantismus. An seinem geistlichen Grabenkrieg sollst du ihn erkennen!

Ich habe mich über Jahrzehnte ehrenamtlich in beiden Lagern getummelt. Unvermeidlich konnte ich merken, dass hüben wie drüben die Zeit nicht stehen geblieben ist. Ein wichtiger Erziehungshelfer waren – wiederum hüben wie drüben – die Partnerkirchen und -Organisationen. Kein Wunder! „Bete und Arbeite“ ist nun mal eine der besten Managementideen, die auf Erden je in drei Worte gefasst worden sind. Wer nur eins von beiden festhält, hat weniger als die Hälfte. Und wer sich auf beides einlässt, hat mehr als nur Zwei, wenn´s drauf ankommt.

Ich hatte zweimal das Vorrecht, an Brennpunkten menschenrechtlicher Konflikte Zeuge von Demonstrationen zu sein – und zwar von solchen, wo überhaupt nicht klar war, welche Gewaltmittel die Staatsmacht einsetzen würde. Beide male wurde ich belehrt, man werde vorher beten. Das sei nötig, damit die Verantwortlichen die Protestwilligen richtig anführen könnten. Einmal waren christliche Frauen unter sich, das andere mal, in einem anderen Land, gingen Christen und Muslime gemeinsam auf die Straße. Jede Gruppe hatte für sich gebetet. Aber beide hielten das für nötig in einer so heiklen Situation.

Was diese Christenmenschen und Muslime im Gebet mit sich geschehen ließen, liegt auf der Hand. Sie vollzogen für sich in einer dramatischen Situation bewusst einen Autoritätswechsel. Nicht der Diktator sollte sich ihrer Herzen bemächtigen können. Sie wollten, dass die Vision vom Reich Gottes, wie Jesus es proklamiert, ihre Schritte sicher macht. Ähnlichen Halt suchten die Muslime in ihren Hoffnungen.

Das Gebet als Schritt in die Freiheit, in die Handlungsfreiheit: das lässt mich fast automatisch an „empowerment“ denken. Der englische Begriff ist eine der kurzen Verständigungsformeln, mit deren Hilfe Fachleute in der kirchlichen Entwicklungsarbeit feststellen können, ob der andere in etwa so tickt, wie man selbst. Wer „empowerment“ wichtig findet, gehört zur Truppe. Auf gut deutsch braucht man leider ein paar Wörter mehr. Man muss davon reden, dass Arme und Entrechtete Gestaltungsmacht brauchen, um ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu können.

Der vielleicht wichtigste Baustein zum „empowerment“ ist die seelische Unabhängigkeit. Ich bin mir sicher, viele Anwältinnen und Anwälte der Armen haben diese unentbehrliche Unabhängigkeit schon im Gebet gefunden und suchen sie immer von neuem.

Ob schon jemand eine Gebrauchsanweisung des Gebets bei der Arbeit für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung geschrieben hat, weiß ich nicht. Aber schon der erste Gedanke daran hat eine Menge für sich.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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