Februar-Erdbeeren, ausgerechnet hier?

Fastenaktion 2013, 1. März

Gäbe es sie, die Silberne „Löwenzahn-Nadel“ für mindestens 25 Jahre Kundentreue im Bioladen, sie stünde uns zu! Wo immer wir gelebt haben: wir waren regelmäßige und anteilnehmende Kunden eines neu sprießenden Zweiges im Lebensmittel-Einzelhandel. Die Sache leuchtete uns ein. Wir hatten mitgestrickt an der etwa zehn Jahre älteren Idee der Eine-Welt-Läden. Dort ging es um faire Handelsbeziehungen mit Produzenten-Gruppen in den Armutsregionen der Erde. Kaffee und Tee waren die Flagschiff-Waren und sind es geblieben. Leute mit diesem Erfahrungshintergrund konnten kaum anders, als mit ihren Jutetaschen in den ersten Bioläden einkaufen zu gehen. Fair im Weltladen, bio im Bioladen, beides lag auf der Hand, wenn man an das bevorstehende 21. Jahrhundert dachte.

Damals, in den 80er Jahren, war der Einkauf im Bio-Laden noch eine weniger zeitaufwändige Angelegenheit, solange wir nicht mit den Inhabern oder gleichgesinnten Kundinnen und Kunden ins Quatschen kamen. Denn das Sortiment hielt sich in Grenzen. Es deckte auch einen keineswegs überkandidelten Bedarf nur zum Teil ab. Der anschließende Weg in den Supermarkt, besser auf den Wochenmarkt, blieb uns nicht erspart. Gutes Brot war der wichtigste Magnet. Gemüse und Obst, Milchprodukte, alternative Waschmittel waren begehrt. Das übrige Grundsortiment gewann erst nach und nach an Breite. Die Start-Up-Generation der heutigen Bioladen-Branche hat mehr oder weniger im Modus der permanenten Selbstausbeutung gelebt – einige persönliche Dramen eingeschlossen.

Zu den ersten Erkundigungen, die wir über unseren ins Auge gefassten Alters-Wohnsitz eingeholt haben, gehörte ein Überblick über die für autolose Menschen erreichbaren Bioläden. Treffer! Gleich zwei! Nicht etwa in einer schicken Pensionärs-Kleinstadt irgendwo in Württemberg, sondern an der Elbe, wo sie durch Sachsen-Anhalt, Ex-DDR, fließt. Im Jahr 2002 fanden wir zugereisten Wessis, das wäre eine gute Quote. Beide Läden wurden schnell Fixpunkte unseres Konsums. Wir trafen Vertrautes: überschaubare Größenordnungen, engagierte Inhaber, die offensichtlich über ihre Ladenkassen hinauszublicken vermochten. Das Sortiment war Standard, kein Wunder ein reichliches Jahrzehnt nach der Wende. Wir waren es zufrieden, auch wenn wir – die ganze Welt soll es wissen – dem unnachahmlichen „Hutzelbrot“ aus dem Ruhrgebiet bis heute nachtrauern. Aber was kann der Einzelhändler dafür, wenn der geniale Bäcker nicht liefern kann?

Viel Wasser ist seither schon wieder die Elbe hinunter geflossen. Ob Hoch- oder Niedrigwasser, eins blieb Jahr um Jahr gleich: das Sortiment unserer Bioläden wuchs und wuchs. Es deckte bald alle Mahlzeiten komplett ab – bis hin zum Bio-Convenience-Bedarf für den gehetzten Bio-Esser. Das Geschehen im Badezimmer, die Genüsse des Feierabends, das Fleisch für den, der es – so wie ich – nicht lassen kann. Alles unter einem Dach! Einer unserer beiden Bio-Läden hat sich inzwischen zum Bio-Supermarkt gemausert.

Die ersten Komplett-Einkäufe im Bioladen, ohne Ergänzung aus anderen Quellen, ergaben sich noch ohne familiären Grundsatzbeschluss. Der ist aber längst gefallen. Was sich im Bioladen oder gleich zu achtenden Quellen kaufen lässt, das wird auch dort gekauft, basta! Wir können es uns leisten, bei reduziertem Fleischkonsum, ohne Auto, modische Wohnungseinrichtung und Urlaubsreisen, die ins Geld gehen.

Unsere Einkaufswelt Bioladen schien in Ordnung. Die raumgreifende Kosmetikabteilung ist meiner Frau egal. Eine strahlende Oma ist sie auch mit Wasser und Seife. Die Eier können wir noch bei einer alten Bäuerin auf der anderen Straßenseite kaufen. Die Erinnerung an den Besuch bei einem der Bio-Eier-Lieferanten ist zu düster. Eine Massenherde ziemlich apathischer Hybridhühner, viele mit den typischen Verletzungen aus innerartlicher Agression. Darüber kann auch der „0“-Stempel nicht hinweg täuschen. Der zunehmende Anteil ausgesprochener Life-Style-Artikel geht mir auf die Nerven. Aber ich kann sie ja liegen lassen. Die weiten Transportwege für Teile des Sortiments sind ein wachsendes Ärgernis. Aber bei manchen Produkten habe ich doch die Wahl zwischen regional und fernen Horizonten.

„Nobody, Nothing is perfect“! Aber die Richtung stimmt doch wohl? Seit gestern bin ich nicht mehr sicher. Ich freue mich des frischen Gemüse- und Obst-Angebotes, für uns immer ein Magnet. Da liegen sie mir plötzlich vor der Nase: durchsichtige Plastikschalen mit Deckel., zu einem Türmchen geschichtet. Drinnen, wir haben heute den 28. Februar, ein verlorenes Dutzend dreiviertel reifer Erdbeeren, 250 g zu € 3,29. Der Klebezettel nennt die Plastikschachtel ein „Bio-Nest“ und verrät mir, dass das unzeitige Zeugs das Produkt einer „Agricultura Ecológica“ in Spanien sei. Zu meiner Verbraucher-Sicherheit gäbe es dort ein „Sistema Control“, Übersetzung überflüssig.

Ich glaub, mich tritt ein Pferd! Buchstäblich seit Jahrzehnten machen wir uns selbst und unseren Mitbürgern klar, dass auch bei Essen und Trinken alles seine Zeit hat. Und wenn wir dieses Naturgesetz aushebeln, indem wir im Winter Erdbeeren von der Elfenbeinküste auf unsere Wochenmärkte schaffen, dann haben wir gleich mehrfach Unheil angerichtet: ökologisch, ökonomisch und humanitär. Die Einzelheiten sind oftmals beschrieben worden. Und jetzt zieht ausgerechnet die Biohandel nach! Auf dem höchsten Schaumkamm der Konsumwelle noch ein paar Euro Umsatz mitnehmen!

Ich weiß, Spanien liegt nicht im tropischen Afrika, sondern in der EU. Aber auch in Andalusien wachsen im Februar keine Erdbeeren open-air. Dazu braucht es den irrsinnigen Energie- und Wassereinsatz der spanischen Gewächshaus-Einöden; vom anschließenden Transportaufwand nicht zu reden. Da interessiert mich nicht mehr, ob im Inneren des Gewächshauses auf Agrargifte verzichtet worden ist. Ich glaube dem „Sistema Control“.

Auf mich wirken die Erdbeer-Plastikschalen wie ein schrilles Alarmsignal. Wir alle, Erzeuger, Einzelhändler und vor allem Käuferinnen und Käufer riskieren offenbar, ein sinnvolles, zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell ohne Not zu demontieren. Bio-Fairer Handel, der für einen überflüssigen Kick seiner Kunden Verstand und Verantwortung fahren lässt, hat seine Zukunft möglicherweise bald hinter sich.

Da ich weiter im Bioladen einkaufen will und muss, sollte ich mir vielleicht kleine Warndreiecke drucken, die ich künftig auf absolut unzeitgemäße Angebote pappen könnte. Aber vorher müsste ich natürlich mit dem Inhaber und meinen Co-Kunden reden.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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