Fromme Rächer

Dieser Tage zappe ich in so ein History-Channel-Programm rein. Held der Stunde ist Wallenstein, Kriegsunternehmer im Dreißigjährigen Krieg, Geschäftspartner des katholischen Kaisers. Aber während der Minuten meiner Stippvisite vor dem Bildschirm geht es um Gustav II Adolf, evangelischer Schwedenkönig, Heroe meiner Kindertage, als man sich und uns Kinder noch gern an innerchristliche „Heilige Kriege“ erinnerte.
Gustav Adolf erobert im Nachmittagsprogramm gerade Bayern und marschiert in München ein. Was bleibt dem Kaiser da übrig, als den zuvor geschassten Wallenstein erneut anzuheuern, um der Ketzerarmee Herr zu werden. Man trifft sich 1632 auf dem Schlachtfeld von Lützen, hier im heutigen Sachsen-Anhalt. Gustav Adolf, der Rächer von Magdeburg, findet den Tod und die protestantischen Minderheiten kommender Jahrhunderte ihren Schutzpatron.

Aber die History-Redaktion kann es nicht lassen. Sie erinnert nicht nur an 20. Mai 1631, ein gutes Jahr vor Lützen, den Tag des unvergessenen Massakers des Katholikenheeres unter Oberbefehlshaber Tilly an der Bevölkerung von Magdeburg. Sie muss unter Nutzung alter Holzstiche unbedingt auch erklären, was im Dreißigjährigen Krieg mit einem „Schwedentrunk“ gemeint war: das zwangsweise Einflößen von Jauche in die Leiber der Folteropfer, um anschließend auf ihnen bis zum Tode herumzutrampeln. Durch meine Konfessionsbrille gesehen waren die Täter die Guten, evangelische Landsknechte.
Natürlich mache ich mir über Gut und Böse bei diesem eine Generation andauernden Morden, das einem Selbst-Genozid der Volksgruppen des späteren Deutschland nahe kam, schon lange nichts mehr vor. Auch nicht über die Dominanz von Machtansprüchen und -Phantasien, verglichen mit den Glaubenssachen.

Aber gerade deshalb stellt sich unwillkürlich die Gedankenverbindung her, als heute die Meldung über das schreckliche Gemetzel eines Taliban-Kommandos in einer Schule im westpakistanischen Peschawar über die Sender geht. Die Eltern der toten Jungen und Mädchen, sollen denselben Schmerz fühlen wie wir, heißt es von Seiten der Auftraggeber. Denn Eltern und Schule gehören zum Militär, dass im Herrschaftsbereich der pakistanischen Taliban blutig Bürgerkrieg führt. US-Drohnen fliegen und töten an ihrer Seite.
Pakistan mag Atommacht sein. Aber der Alltag seiner Menschen und die Propaganda seiner auf den Tod verfeindeten Krieger ist bis in tausend Einzelheiten durchdrungen von unvereinbaren Deutungen des Korans. Die jugendliche Friedensnobelpreisträgerin Malala und die total verschleierten Frauen der furchtbaren Gotteskrieger sind gleichermaßen Muslimas; die eine wie die anderen sind Leitbilder hüben und Zerrbilder drüben. Und die tödliche Mischung aus immer wieder vergossenem Blut und dem fanatischen Wahrheitsanspruch unversöhnlicher Prediger schafft eine Sprachlosigkeit, die nur noch auf den Tod des abtrünnigen Glaubensbruders hofft.

Der Abstand, der räumliche wie der theologische, macht es leichter, die schreckliche Mechanik religiös angefachten Hasses zu begreifen – und mir einzugestehen, dass er möglich bleibt auch im Zeichen des Kreuzes. Und nicht nur dort, denn Religion ist alles, was von Menschenherzen unwiderstehlich Besitz ergreift, „alternativlos“. Dazu braucht es keine Theo-Logie. Ein Parteiprogramm oder ein Lifestyle tun es auch.
Wer bin ich, dass ich das Rezept ausstellen könnte, das Abhilfe schafft? Es ist nur eine Phantasie. Es wäre wahrscheinlich ein Segen, wenn Religionen und Parteiungen sich verabredeten: wir lassen nur noch solche Frauen und Männer in unserem Namen sprechen, die sich zuvor gründlich mit den Frieden stiftenden Überlieferungen und Praktiken unserer Gemeinschaft beschäftigt haben. Denn von solchem Friedenssaatgut gibt es überall viel mehr, als man unter dem Schock schrecklicher Schlagzeilen vermutet. Auch der Islam wäre eine Fundgrube.
Und wir Christenmenschen? Für mich ist Weg weisend, wie definitiv sich Jesus von Nazareth über Schuld und ihre Vergebung äußert. Jede, wirklich jede Sünde eines Menschen ist vergebungsfähig. Nur wer den anderen beschuldigt, des Teufels zu sein, unerreichbar für den Geist Gottes, dessen Leben ist gescheitert. Eine Sicht der Dinge, die wir im 21. Jahrhundert wahrhaft gebrauchen können.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
Dieser Beitrag wurde unter Friedensverantwortung abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.