Hemdenkauf mit Fernblick

Fastenaktion 2013, 24.Februar

Ich bin kein Anzug-Typ! Zu meinen 100-Kilo-Zeiten sah das einfach gefressen aus. Später mochte ich mich dann auch nicht mehr an gesetzten Akademiker-Look gewöhnen. Entsprechend knapp ist mein Vorrat an weißen Hemden. Aber manchmal geht es nicht ohne. Z.B. wenn ich wieder mal als ehrenamtlicher Pastor an der Reihe bin. Rot-Kariertes unter den Talarärmeln? Da reden die Leute am Ende über meine Klamotten statt über meine Worte.

Nach gefühlten zehn Jahren Nutzung war jetzt Schluss für meine beiden Sonntagshemden: Kragen und Manschetten abgestoßen; dazu leichte farbliche Irritationen, die wohl auf unsere altertümlichen Wasserleitungen und etwas gewagte Öko-Waschmittel zurückzuführen sind.

Bei uns im Dorf ist Ersatz nicht zu beschaffen; höchstens ein-, zweimal im Jahr als Sonderangebot in einem unserer beiden Supermärkte; billig, billig aus Kunststoff-Fasern mit ein paar Prozent Alibi-Baumwolle. Aber wir haben ja Magdeburg, eine Landeshauptstadt, in Fahrrad-Entfernung, samt allen üblichen Adressen des Textil-Einzelhandels. Ordentliche weiße Herrenoberhemden, Kragenweite 43 cm, 100% Baumwolle, das wird sich ja wohl in zehn Minuten erledigen lassen – denke ich, als meine Einkaufschefin interveniert. Ich bin mit ihr verheiratet, weshalb ihr Einwand Gewicht hat.

„Du warst in der Sahelzone. Du hast über die Baumwollbauern geschrieben; über das Elend; über die Hoffnung auf besseres Leben durch Bio-Baumwolle. Kauf dir jetzt bio-faire Hemden!“

Wirkliche Gegenargumente habe ich nicht. Ja es stimmt. Vor allem die gnadenlose Subventionspolitik der USA zugunsten ihrer Baumwollfarmer hat die Baumwoll-Bauern am Südrand der Sahara flächendeckend ins Verderben gestürzt, in Burkina Faso, in Niger – auch in Mali. Im letzteren Fall ist das auch mit noch so viel kriegerischem Befreiungseifer nicht wieder gut zu machen.

Normale, unter Pestizideinsatz produzierte afrikanische Baumwolle ist schon am Tag der Ernte ein weltwirtschaftlicher Ladenhüter. Die weißen Berge auf den Dorfplätzen mit darauf spielenden schwarzen Kindern geben phantastische Fotomotive ab. Aber von den Verkaufserlösen leben? Ein Kunststück, das kaum noch gelingt.

Da bleibt das junge, noch kleine Bio-Baumwoll-Segment. Es lebt von unserem Eigeninteresse an toxisch unbelasteten Fasern – und von der Erfahrung afrikanischer Bauern. Allein schon aus wirtschaftlichen Gründen ist ihnen der Verzicht auf Agrargifte nicht fremd. Die Mutigen haben daraus ein Konzept gemacht und Geschäftspartner in unserem Teil der Welt gefunden. Baumwollbauern in anderen Anbaugebieten tun es ihnen gleich.

Machen wir´s kurz. Zwei „Weiße-Hemden-Termine“ musste ich noch mit den unansehnlichen alten wahrnehmen. Die sehen jetzt ihrer Restverwertung als Taschentücher entgegen. Ich besitze, nach einer etwas längeren, aber keineswegs allzu komplizierten Prozedur, zwei weiße Bio-Baumwoll-Hemden, zum fairen Preis, die jedem prüfenden Blick standhalten. Teuer sind sie, so teuer, dass es sich fast mehr lohnt, mir das Hemd vom Körper zu zerren, statt mir das Portemonnaie zu klauen: jedes 59,95 €.

Bevor der preisbewusste Leser über mich herfällt: „Wieviel weiße Hemden haben Sie im Schrank? Wo oft gehen Sie einkaufen? Bitte rechnen Sie mal nach, aber ehrlich!“ Und selbst wenn ich das „Geiz ist-geil-Ziel“ weit verfehlt haben sollte, diese Investition riskiere ich gerne. Denn was macht aus malischen Bauern und ihren Söhnen mit höherer Wahrscheinlichkeit friedliche Zeitgenossen unserer Enkel. Ein Broterwerb, der diesen Namen verdient, weil er auf gerechten Handelsbeziehungen beruht? Oder ein zunehmend hasserfülltes blutiges Katz-und Maus-Spiel ohne Ende in den Weiten des Sahel?

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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