Minijobber beim Osterhasen

Ob ich je dem Osterhasen mit Freuden entgegen gefiebert habe, weiß ich einfach nicht mehr. In den für diese zoologische Absonderlichkeit besonders empfänglichen Kinderjahren war Krieg bzw. Nachkriegs-Mangelwirtschaft. Es kann gut sein, dass meine Erwachsenen da gewisse Beschaffungsprobleme gehabt haben.

PaderbHasenWie auch immer, meine mir erinnerliche Rolle zu Ostern, war die eines Minijobbers bei der Firma Lepus paschalis, vulgo Osterhase. So ungefähr seit dem zehnten Lebensjahr hatte ich meinem Vater vor dem Ostergottesdienst zu melden, wie viele Eier und Süßigkeiten-Körbchen ich wo in den Gärten unserer wechselnden Wohnsitze versteckt hatte. Mit fortschreitendem Alter war zusammen mit der Meldung eine Lageskizze mitzuliefern. Denn im Vorjahr waren einige Osterhasen-Kostbarkeiten auf Nimmer Wiedersehen verschwunden. Auf der Liste hatte ich dann das Fundgut meiner jüngeren Geschwister abzustreichen, bis sich alles wieder eingefunden hatte. Trotzdem ist mir mehrfach die Nachsuche nicht erlassen worden. Unverkennbar, Vater hatte eine Vergangenheit als Kompaniechef. Als mein jüngster Bruder dann eines Tages dem Osterhasen die Bonität absprach, war ich längst erwachsen und überzeugt, dass ich das Elternhaus dringend verlassen sollte. So ist mir der Osterhase kaum ans Herz gewachsen, aller Bewunderung für das frei lebende Wildtier, seine unverschämte Vitalität, zum Trotz.

Auf den Osterhasen zurückgekommen bin ich erst, als meine eigenen Kinder schon wieder aus dem Haus waren. Der Zufall wollte es, dass ich am Rande eines schnöden Konferenztermins das Drei-Hasen-Fenster des Paderborner Münsters gezeigt bekam. Eine Steinmetzarbeit aus rötlichem Sandstein, etwa 500 Jahre alt. Sie zeigt drei wild im Kreise rennende Hasen, die jeder für sich charakteristisch getroffen sind. Niemand, der einen etwas geschulten Blick für die heimische Tierwelt hat, würde sie mit ordinären Karnickeln verwechseln. Die Proportionen, die Streckung der Leiber, die Ohren, alles Hase. Die Ohren! Eine wunderbare mittelalterliche optische Täuschung. Jeder Hase, für sich mit den Augen fixiert, ist rundum perfekt. Aber der zweite Blick enthüllt, dass die drei Hasen zusammen nur drei Ohren haben. Für das Auge des Betrachters leihen sie sich ihre Ohren wechselseitig aus. „Der Hasen und der Löffel drei, und doch hat jeder Hase zwei“, sagt der Paderborner Volksmund dazu.

Theologen und Kunsthistoriker können über fast alles streiten. Auch darüber, ob es neben der überlieferten Deutung des Hasenrennens noch andere gibt. Aber der theologische Volksmund legt sich fest: die Hasenjagd samt dem Trick „aus drei mach sechs“ ist eine bildliche Umsetzung des christlichen Bekenntnisses zu dem Dreieinigen Gott. Schöpfer, Sohn, Heiliger Geist, jeder für sich erlebbar, wirklich, von Leben sprühend. Aber zugleich untrennbar, erst zusammen die ganze Lebendigkeit Gottes, die unser Leben trägt. Generationen lang haben sie in der frühen Kirche um diese zentrale Bekenntnisformel gekämpft; sich dabei ein um das andere mal verunglimpft, verurteilt, in mühseligen Kompromissen wieder gefunden, die Theologie Studierende heute gleichsam archäologisch freilegen müssen.

Und dann kommt irgend ein Mönch, eine Bäuerin, ein Steinmetz daher, irgend wer, der die ostwestfälische Frühjahrslandschaft vor den Stadttoren in sich aufgenommen hat. Die wild umeinander jagenden paarungswilligen Hasen, die zu einem einzigen Bild verschmelzen. Und dies Bild unzähmbarer Lebendigkeit drängt sich in den Sandstein als Theologie des Volkes – obwohl am Ende irgend ein Bischof sein Plazet gegeben haben muss. Aber auch unter diesen Leuten waren ja Hellsichtige.

Ja, seit ich diese wunderschöne Hasentheologie kenne, verzeihe ich dem Osterhasen gern den Stress, den er mir etliche Jahre lang eingebrockt hat. Denn das bisschen Eierverteilen im Land ist ja kaum der Rede wert gegen die Kreativität, mit der Lepus europaeus, der einheimische Feldhase, mal so eben eine der härtesten Denknüsse der Christenheit knackt.
Halt Stop! Auf ein Wort noch lieber Osterhase: als ich noch in deinen Hilfsdiensten stand, kamen deine Ostereier vom Bauern Hullermann, direkt nebenan. Ich habe manches Mal selber die Nester abgesammelt. Weder du noch ich kannten damals das Wort Bio. Bitte setze unsere neu gewonnene Freundschaft nicht aufs Spiel, in dem du dir heute das schreckliche Eierfabrikzeugs unterjubeln lässt. Ich kann mich auf dich verlassen? Dann bis bald, nach Ostern, da draußen.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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