Ruanda: der rote Platz füllte sich

 

Den Namen des Ortes kann ich in meinen Notizen nicht mehr finden. Vielleicht ist meine Verwirrung, an die ich mich genau erinnere, Schuld an dieser Nachlässigkeit. Es war wenige Jahre nach dem Völkermord von 1994 im ostafrikanischen Ruanda. Aus dem Osten des Kongo kommend besuchten wir Partner unserer Kirche in dem von Menschen überquellenden kleinen Nachbarland. Wir hielten an dieser Kirche: ein schmuckloser langgestreckter Zweckbau, nicht unähnlich den genormten LPG-Gebäuden der verflossenen DDR.

 Diese Kirche sei einer der Schauplätze des Genozids gewesen, einer von vielen, erklärt man mir. Vermeintlicher Zufluchtsort, der sich dann als absichtsvoll gewählter Schlachtplatz herausstellte. Die eine Volksgruppe, in der Mehrheit und an der Macht, fiel mordend über die andere her – wenige Tage, bevor sie selbst militärisch besiegt wurde.

 Die Führung, wenn man es denn so nennen soll, war ein unglaubliches Kontrastprogramm: ein nichts sagender menschenleerer Platz oben auf einem Hügel; der Bodengrund ortsüblich fest getrampelte rote Erde; der Kirchenraum völlig leer, ohne irgend ein christliches Symbol, daneben ein zweiter kleinerer Bau, ebenfalls leer stehend; ein trocken gefallener Tiefbrunnen, das ganze Grundstück auffallend frei von Alltagsmüll.

 

Durch die Worte des einheimischen Begleiters füllt sich der leere rote Platz mit Mördern und Mordopfern. Ich ahne schreckliche Geräusche, Schreie des Hasses und der Todesangst. Eine regelrechte Mordregie hat es gegeben an jenem Tage. Nichts war dem Zufall überlassen. An einer Wand der Kirchhalle, auf die er uns aufmerksam macht, habe man die Erschlagenen gestapelt. Auch der Brunnen sei am Ende voll gewesen und seither unbenutzt. Und nein, seitens der christlichen Gemeinde, einer protestantischen Denomination, habe es keinen Widerstand gegen den Missbrauch des Gebäudes als mörderische Falle gegeben. Im Gegenteil, einige ihrer Repräsentanten warteten jetzt als Angeklagte auf ihre Mordprozesse.

 

Seit jener Besichtigung vor gut 15 Jahren habe ich manches mal darüber nachgedacht, welches Bild schlimmer ist: dass der unverblümten Mordstätten unter dem Kreuz in Ruanda; oder das unserer kostbaren historischen Kirchbauten, denen man nicht ansieht, dass in ihnen nicht leidenschaftlich und mit vollem Risiko des Glaubens um das Leben unserer jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn gekämpft worden ist. Einige Kirchen in Ruanda haben später darüber nachgedacht, ob sie sich nicht auflösen müssten, weil sich mit ihrer Schuld nicht weiter predigen lässt. Meine Kirche hat sich eine solche Frage nie gestellt.

 Was inzwischen im Archiv meiner Erfahrungen eingelagert schien, ist mit einem mal wieder ganz gegenwärtig und mir so wichtig wie immer – jetzt, da nach zwanzig Jahren ein deutsches Oberlandesgericht einen Mitverantwortlichen für eines der ruandischen Kirchenmassaker in erster Instanz verurteilt hat. Nach dem Machtwechsel in Ruanda suchte er missbräuchlich Asyl in Deutschland und wurde angeklagt. Dieser Strafprozess ist ein Wert an sich. All die Mühe, der große Batzen Steuergeld sind ein guter Beitrag zu dem weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit der Verbrechen von Machthabern und ihren Schergen. Jeder traumatisierte Zeuge, der zu Protokoll eines unabhängigen Gerichtes aussagen darf, erfährt ein wenig Heilung und viele Hinterbliebene, die davon hören, mit ihm. Unsere Kirche hat Grund, allen, die diesen Prozess durchgestanden haben, dankbar zu sein, auch den Verteidigerinnen des Angeklagten. Sie haben gewährleistet, was die Mörder ihren Opfern nie zugestanden hätten.

 Und wenn der Berufungsprozess nicht weniger aufwändig werden sollte? Ich kennen vieles, wofür ich zögerlicher meiner Steuerpflicht nachkommen würde.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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