Spendenwerbung: Ping-Pong der Gefühle

Ich gestehe, dass ich nicht jedem Werbebrief einer Hilfsorganisation die Aufmerksamkeit schenke, die er wahrscheinlich verdient hätte. Dass ich viele solcher Briefe bekomme, habe ich mir selbst zuzuschreiben. Über die Jahrzehnte hier und da eine einzelne Spende aus gegebenem Anlass, oder – bei wenigen – ein Dauerauftrag über längere Zeit, das hat Folgen. Keine Woche ohne einschlägige Post und Richtung Weihnachten auch schon mal drei, vier konkurrierende Bitten täglich. Die „Spenderpflege“ gehört zum Kerngeschäft jeder Hilfsorganisation. Spenderadressen sind kostbarer Besitz. Seit kein wohltätiges Haus mehr auf die spezialisierten EDV-Programme verzichten muss, hat sogar eine unglaubwürdige Nähe zwischen Organisation und Spender Einzug gehalten. Kaum eine Bitte, bei der ich nicht mit korrektem Namen und Geschlecht angeredet werde; ich selbst und die anderen 85.244 Leute auf derselben mailing-List.

Die Notwehr der vielfach Gebetenen wird wohl überall dieselbe sein. In Kenntnis der aktuellen eigenen Spendenpraxis die Masse der übrigen Bitten möglichst ungeöffnet in den Papierkorb! Denn fange ich erst einmal an zu lesen, begegnet mir da mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gerechtigkeitsproblem, das mir nicht egal sein kann. Dann mal unterstellt, dass jede Spende unter 50.-€ dem Hühnerknochen gleicht, den man einem Hund hinwirft, laufen Vernunft und Gefühl vor die Wand. Meine Geldquelle ist meine gute Rente, sonst nichts. Also kann ich grundsätzlich an meinem Dilemma nichts ändern.
Ich öffne die Post von vielleicht 20-30 spendensammelnden Organisationen, um ihre Nachrichten zu lesen. Das sind die Initiativen, mit deren Arbeit ich tatsächlich einmal zu tun hatte oder sogar noch habe. Ich will einfach wissen, was dieser Friedensdienst, diese Kinderrechtsorganisation, dieser Umweltverband, dieses Eine-Welt-Hilfswerk heute machen. Aber ich weiß vorher, dass ich das anhängende Spendenformular nicht ausfüllen werde. In solchen Situationen habe ich mich in Gedanken auch schon mal bei den Absendern entschuldigt. Die tun etwas Zukunftsweisendes, helfen mir, unsere Zeit zu verstehen – und ihr Spenden-Formular landet in meinem Papierkorb. Obwohl auch in der anderen Welt, von der wir beteuern, dass sie möglich ist, ohne Moos nichts los ist. Die Mehrheit der Bittbriefe in meinem Briefkasten bleibt aber ungeöffnet.

Mein Problem kennen erfreulich viele ZeitgenossInnen aus eigenem Erleben. Auch sie haben mit spendensammelnden gemeinnützigen Organisationen zusammengearbeitet und sie finanziell unterstützt. Auch sie müssen wegwerfen. Damit beginnt ein Ping-Pong-Spiel mit den Fundraisern. Sie ordinär Spendenwerber zu nennen, ginge diesen Fachleuten wohl gegen die Berufsehre. Fundraiser müssen den Spendenfluss in Gang halten, möglichst steigern. Deshalb durchleuchten sie Psyche und Verhalten von uns Spendern. Nicht immer mit angemessenem Respekt. Ich erinnere mich gut an „Opa Brömmelkamp“ und den „Spender Simplex“, ihres Zeichens etwas tollpatschige Fantasiegeschöpfe, die in Fachdiskussionen solch begehrter Spezialisten seziert wurden.
Sie wissen genau, wie heikel der Moment ist, wenn ihre Post in unsere Hände gelangt. Wie lässt sich das vorzeitige Aus im Papierkorb verhindern? Eine immer beliebtere Idee: der Briefumschlag als Kontaktbörse. Man wählt das Foto eines angesehenen Promis, der sich als Unterstützer des Absenders zu erkennen gibt. Ich bin aber auch schon von allerlei sympathischem Getier und etlichen Blumensträußen begrüßt worden. Manchmal wird die Not, der abgeholfen werden soll, auf dem Umschlag durch ein hoffnungsvolles Foto präsentiert. Im Weihnachtsquartal wird auf dem Umschlag gern auf inliegende kleine Werbeschenke, von der Postkarte bis zum Mini-Transparent verwiesen. So was schmeißt man ja nicht weg, auch wenn es unverlangt ins Haus gelangt. Bis an die Grenze des Kitsches und darüber hinaus ist es dann nicht mehr weit.

Ich gestehe, dass mich diese Werbeschlacht schon auf den Briefumschlägen zunehmend nervt. Den Griff zum Brieföffner fördert sie jedenfalls nicht. Bei einem Opa Brömmelkamp meiner Seelenlage genießt der stinknormale Briefumschlag samt einem oft vertrauten Absender-Logo eindeutig den höchsten Sympathiewert. Aber keine Regel ohne Ausnahme: letzte Woche entnehme ich so einem neutralen Umschlag meinem Briefkasten. Absender ist eine Topadresse in meinem persönlichen Ranking. Aber auch das ist keine Garantie, dass ich diesen Werbebrief wirklich lesen werde. Ich kenne die Arbeit der Leute ja ziemlich genau, also… Der Arm bewegt sich schon Richtung Papierkorb, da erst fällt mir auf, dass neben meiner Adresse noch zwei Zeilen gedruckt sind, recht unauffällig, in der gleichen Type. Ich lese: „Gebt den Hungernden von Eurem Reis – und den Leidenden von Eurem Herzen (China).“

Ich habe schon einige lebenskluge Sätze aus dem Erkenntnisschatz Chinas lernen dürfen. Diesen hier kannte ich bisher nicht. Und auf einem Brief, der um Spenden zur Hilfe für Kriegsflüchtlinge bittet, steht er nicht an der falschen Stelle. Geld und ein verstehendes Herz. Beides wird gebraucht. Was von beidem, frage ich mich, ist angesichts der von schreienden Notständen und Missständen überquellenden Zeit das knappere Gut? Auch heute kommen mir Zuständigkeiten und Kapazität von Geldbeutel und Herz wieder in den Sinn. Da hat ein Fundraiser wohl erfolgreich gearbeitet – obwohl ich meinen Spenden für diesen Zweck keine weitere hinzu gefügt habe.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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