Unser Dorf im Tröglitz-Test

Wie macht sich unser Dorf im Tröglitz-Test? Würden es Neo-Nazis auch bei uns schaffen, einen ehrenamtlichen Bürgermeister, der Flüchtlinge aufnehmen will, aus dem Amt zu graulen?

Die Frage macht Sinn. Denn auch wir leben in Sachsen-Anhalt. Auch wir sind ein Großdorf, wie Tröglitz. Auch unser Bürgermeister gehört, so weit ich weiß, keiner der Bundestagsparteien an und verdient sein Geld nicht im Mini-Rathaus. Auch bei uns muss man nicht lange suchen, um lebendige und ständige Kontakte zwischen politischer Gemeinde und Evangelischer Kirchengemeinde festzustellen.
Wie kurz oder lang der Anreiseweg nach Tröglitz für die braunen Aufmischer ist, weiß ich nicht. Des Führers Urenkel werden nötigenfalls motorisiert sein. Bei uns ist es nur ein Katzensprung von den Schauplätzen der hinlänglich bekannten „Spaziergänge“ patriotischer Abendländler hinaus aufs Land. Die Köche der giftigen Volkszorn-Suppe können sogar umweltfreundlich mit ÖPNV anreisen.
Und auch, was das wohlfeile Frustgemisch in der Magengrube des Landvolkes angeht, werden wir uns schnell verstehen: eine Heerschar von alt Gewordenen, gerade noch eine Handvoll von Arbeitsplätzen, ein einziger Arzt, der – bitte, bitte – nie krank werden möge.
Andererseits: die eigenen vier Wände als – wenigstens gefühlter – Normalfall. Fremde, das sind vor zwanzig Jahren zugezogene Hannoveraner, und nicht etwa Menschen, denen man die weite Anreise schon an der Hautfarbe ablesen kann. Ja, bei uns können Sie wirklich noch Kilometer um Kilometer durchs Gemeindegebiet wandern, ohne je über einen Schwarzen oder Orientalen zu stolpern. Der Gipfel der Exotik ist der fliegende Textilhändler, einmal die Woche am Bahnhof. Der Mitbürger kommt samt Gattin erkennbar aus Vietnam. Sein sehr ordentliches Deutsch lässt auf Einbürgerung vor langen Jahren schließen. Steuerzahler ist er auch. Diese Diagnose wage ich blind.

Eine Moschee brauchen wir hier wirklich nicht. Mit Kirchen sind wir allerdings auch überversorgt. Gleich zwei, würdevoll und denkmalgeschützt, für vielleicht zehn Prozent unserer Nachbarinnen und Nachbarn.
Wenn man in Magdeburg oder Berlin also jetzt so etwas wie einen Stresstest für Flüchtlingsaufnahme-Dörfer im PEGIDA-Land planen sollte, gehörten wir wohl auf die Liste.

Unser Bürgermeister im Schnell-Test: der ist ein harter Hund, seit Jahr und Tag. Seine Fähigkeit, gegen den Strom zu schwimmen, hat er ausreichend und langfristig unter Beweis gestellt. Allerdings hatte er in der Dorfpolitik immer die Mehrheiten, die er brauchte, auch wenn es heikel wurde.Natürlich geht es hier nicht um Zensuren für konkrete kommunalpolitische Entscheidungen. Die dürften außerhalb unserer Gemarkung wenig interessieren.

Es geht im Umkehrschluss um dieses informelle Bündnis der Vogel-Strauß-Menschen in und um Tröglitz und höheren Orts, das den vernünftig handelnden Ortsbürgermeister hat resignieren lassen. Nichtstun, sich für unzuständig erklären, ist eine äußerst wirkungsvolle Handlungsoption in gesellschaftlichen Interessenkonflikten. Knall auf Fall steht dann einer allein denen gegenüber, die sehr wohl etwas tun wollen, nämlich psychische, wo möglich auch andere Gewalt anwenden.

Es ist wirklich nicht einfach zu urteilen, was schwerer wiegt, offen feindseliger Protest unerfahrener Dörfler, die ihre vorgeblich heile Welt retten wollen; die sich dabei vor schlimmer Leute Karren spannen lassen. Oder die Vogel-Strauß-Manier zu vieler, die eigentlich wissen, dass es jetzt auf sie ankäme. Mit dem Zweiten kann ich schlechter leben.

Aber das ist belanglos. Ungleich wichtiger ist der Praxistest. Dass ich selber nicht zurücktrete, als Bürger. Dass möglichst viele von uns diesen Rücktritt verweigern, wenn unser Dorf, konfrontiert mit den Herausforderungen der Gegenwart, im Streit der Meinungen seinen Weg finden muss. Wie in Tröglitz kann es ja passieren, dass eines Tages keine Hannoveraner zuziehen, sondern von Amts so viele Flüchtlinge, dass sie über Nacht ein volles Prozent der Bevölkerung ausmachen. Menschen mit kaum überwundener Todesangst im Nacken, ohne Arbeitserlaubnis; Männer ohne Frau und Kinder, Leute mit fließenden Sprachkenntnissen in einer Menge falscher Sprachen; Nachbarn ohne wirklichen Alltag. Wahrlich nicht einfach für unser Dorf, für kein Dorf! Ein unwiderstehlicher Köder für alle, die vom Aasgeruch ungelöster gesellschaftlicher Konflikte angezogen werden. Und genau deshalb die Situation, in der Bürgerinnen und Bürger nicht zurücktreten dürfen, damit allein gelassene Bürgermeister nicht zurücktreten müssen.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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