Zurück zum Sonntagsbraten

 

Herzlichkeit war Mangelware in meinem Elternhaus. Aber es gab es doch wiederkehrende Situationen einer eher freundlich gestimmten Familienrunde. Dazu gehörte der Sonntagmittag mit dem Sonntagsbraten. Der Vater behielt auch dort seine einschüchternde Unberechenbarkeit. Aber immerhin richtete sich seine Aufmerksamkeit, mit dem Tranchiermesser in der Hand, eindeutig auf das duftende Stück Rindfleisch und nicht auf unsere kindlichen Unzulänglichkeiten.

 Der Sonntagsbraten ist in guter Erinnerung, weil er das Besondere war. Die Woche über hatte der Mittagstisch auch in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts seine Anteile an tierischem Eiweiß. Die konnten bestehen aus dem Speck in den Bratkartoffeln, hin und wieder einer Frikadelle, gebratener Blutwurst; dies und das eben. Aber in der Summe, abgewogen, ernährungsphysiologisch bewertet, muss es in etwa so gewesen sein, wie die Statistiker meinen: die Hälfte von dem, was heute auf dem Weg über Pfanne und Grill in unsere Mägen wandert. Fleisch als Bestandteil, aber nicht als Hauptbestandteil der Ernährung. So, wie Gebiss und Verdauungsapparat des homo sapiens es nahelegen. Kurzum: das Urwort vom Täglichen „Brot“ hatte noch Berührung mit der Wirklichkeit.

 Und die Infrastruktur der Fleischerzeugung passte dazu. Ich kenne noch die Geräusche und Gerüche der bäuerlichen Schweinehaltung, hin und wieder sogar mit Weidegang. Ich habe als Junge noch gelernt, dass eine Sau mit Ferkeln keinen Spaß versteht, wenn man ihr die natürliche Bewegungsfreiheit lässt und ihr dann in die Quere kommt. Und ich kenne natürlich das Drama der Schlachttage. Ja, ein Drama war es auch. Ein Junge vom Dorf hat – wie das ABC – auch gelernt, wie man ein Huhn einfängt und in Sekunden tötet.

 Kein Wort müsste man über diese Kindheitseindrücke verlieren, zeigten sie nicht, dass es sozusagen vorgestern noch eine bäuerliche, nicht agroindustrielle Landwirtschaft bei uns gegeben hat. Und sie war imstande, den Fleischanteil an der täglichen Ernährung zu erzeugen, an den sich Millionen Alte irrtumsfrei erinnern und den zehntausende von Ärztinnen und Ärzten gebetsmühlenartig empfehlen.

 Umgekehrt wird heute ein Megatrend daraus. Noch einmal um fast die Hälfte soll der Ausstoss von mit Füßen getretenen Tiere aus den Fleischfabriken bis zur Jahrhundertmitte ansteigen, auf etwa 470 Millionen Tonnen weltweit. Die Zahl sagt mir nichts. Da geht es mir wie mit der Anschaulichkeit von ein paar Millionen Lichtjahren.

 Was mir eine Menge sagt und nackte Angst einjagt, ist der Preis, den Schöpfung und Menschheit dafür vorhersehbar werden zahlen müssen, in Sachen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

 Wenn denn Schweine und Hühner die profitträchtigsten, weil effizientesten Verwerter von Industriefutter sind, dann werden weltweit nicht nur ungezählte weitere riesige Stinkeställe gebaut werden, völlig losgelöst von den Ackerflächen und Wiesen, die eigentlich das Tierfutter hergeben müssen. Das wäre schon schlimm genug, weil wir längst wissen, dass Gesetzespapier unglaublich geduldig ist, was den Umgang mit Emissionen und Hinterlassenschaften angeht.

 Die Multimilliarden weiterer Hähnchen und Schweine für die neuen Käuferschichten in den Boomnationen von China über Indien, Brasilien, Malaysia bis weiß ich wohin – dazu unsere eigenen Gaumenkitzel, auf die wir gleichsam ein Menschenrecht geltend machen,- sie werden sich nur produzieren lassen, wenn immer mehr Ackerflächen umgewidmet werden von „täglich Brot“ auf „täglich Industriefutter“.

 Da tut sich, just während wir unseren Speisezettel zusammenstellen, ein unmenschliches Entweder-Oder auf. Im begrenzten System „Erde“ sind die feststellbaren Zahlen heute schon atemberaubend. Aber irgendwo, irgendwann wird es dann unweigerlich eine Sollbruchstelle für den Frieden auf Erden geben. Es ist ja wirklichkeitsfremd anzunehmen, dass Milliarden Arme sich bis zum St. Nimmerleinstag immer mehr Grundnahrungsmittel stehlen lassen, weil der Markt noch ein paar Millionen Hektar Sojafläche mehr gebrauchen kann.

 So bin ich, meines Zeichens ausgewiesener Genussmensch, doch dankbar für all die Trippelschritte, die wir in den letzten Jahren zurück in Richtung Sonntagsbraten schon gelaufen sind. Dieser Weg soll weiter gehen. Die Schritte sollen sicherer werden. Weil alles Politik ist, zuallererst der Alltag.

 Das letzte Wort soll die Politik bei mir aber nicht haben. Das gebührt den Tieren selbst. Oder kennen Sie eine gelungenere Parodie auf einen Ehemann als einen Gockel im Hühnerhof? In der Tierfabrik ist dieses herrliche Bild ausgelöscht.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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