Mission



Christi Himmelfahrt, 1. Mai 2008

Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

(Matthäus 28, 16-20)

Die Himmelfahrtsgeschichte des Evangelisten Matthäus: es gibt nichts zu sehen, keine Wolke, die Jesus aufnimmt, keine Engel. Dafür ein Wort, das wie wenige andere Jesusworte dem Leben vieler Menschen eine bestimmte Richtung gegeben hat: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker. Tauft sie… Lehrt sie alles zu halten, was ich euch befohlen habe!“ Der Missionsbefehl, der Taufbefehl. In früheren bibelgeschulten Generationen musste der Prediger nur das altertümliche Stichwort „Matthäi am Letzten“ fallen lassen – und die ganze Gemeinde wusste, was gemeint war. Der Missionsbefehl, der Taufbefehl. Wenn ich die beiden Begriffe abwäge, ist deutlich, welcher stärker in das Leben unserer Kirche, ja sogar in das politische Leben hinein gewirkt hat. Selbst wenn wir nicht weiter als nur 200 Jahre zurückblicken, war der geografisch gedeutete Missionsbefehl einer der kraftvollsten Impulse, die auf unsere Gemeinden nach der Reformation des 16. Jahrhundert eingewirkt hat.

Heidenmission, das war eine ganz große Sache. Die mittlerweile ehrwürdige Geschichte unserer großen Missionsgesellschaften begann ziemlich ungestüm, leidenschaftlich, als kaum unter Kontrolle zu haltende Bürgerinitiative christlicher Gruppen. Bischöfe und Landesherren waren keineswegs immer begeistert. Die Welt war um 1800 voller Heiden. Der Weg zu ihnen war weit, an Bord von Segelschiffen, anschließend auf Ochsenkarren und zu Fuß. Die erweckten Christinnen und Christen im Missionsdienst, in der sog. Pioniermission, waren überzeugt, dass es galt, Seelen zu retten. Das war, wenn es Gottes Wille war, den Preis des eigenen Lebens wert.

Zum Missionsbefehl „Matthäi am Letzten“ gehörten wie selbstverständlich auch noch in meinem Konfirmandenunterricht vor 55 Jahren die frommen Heldengeschichten der berühmten Pioniermissionare, auch solche, in denen sage und schreibe Menschenfresser vorkamen. Da lief es uns heiß und kalt den Rücken herunter. Sollte es auch! Unser Missionsopfer wurde dann in die berühmte Nickneger-Box geworfen, die mit dem schwarzen Jungen, dessen Kopf bei jedem Einwurf dankbar nickt. Was an dieser Begegnung „deutscher Kindergottesdienstjunge – afrikanischer Nickneger“ schief war, mächtig schief, habe ich erst deutlich später verstanden. Auch das Zwielicht, in das die Mission überall dort geriet, wo sie sich unter den Schutz oder gar in die Interessengemeinschaft der Kolonialregime begab, war uns heißblütigen kleinen Missionsfreunden noch unsichtbar. Noch viel länger hat es bei mir gedauert, ein wenig zu erkennen, wie unglücklich sich viele Importe kirchlicher Gebräuche, Regeln und Dogmen, die allesamt mit dem Kern der Botschaft Jesu nichts zu tun haben, auf die durch Mission entstandenen Gemeinden im Süden der Welt ausgewirkt haben. Tiefschwarze afrikanische Pastoren in schwarzen deutschen Talaren oder ein ächzendes Harmonium unter einem Affenbrotbaum sind da noch wirklich harmlose Beispiele. Missionsbefehl ausgeführt – auf menschliche, allzu menschliche Weise? Wären die Missionarinnen und Missionare des 18. bis 20. Jahrhunderts besser zu Hause geblieben? Fragen wir die, denen ein Urteil zusteht, die Christinnen und Christen der Kirchen, deren Ursprung auf missionarische Aktivitäten aus unserem Teil der Welt zurückgeht.

Ich habe es erlebt in verschiedenen Ländern. Man wird als Besucher bei sich bietender Gelegenheit an Missionarsgräber geführt. Sie sind wohl erhalten und liebevoll gepflegt, auch wenn keine Besucher aus Deutschland ins Haus stehen. Schwarze oder braune Bischöfe oder Synodalälteste betonen, dass hier auch für sie ein ganz wichtiger Ort sei. „Diese Toten sind Teil unserer Geschichte. Wir sind Christen. Wir wollen unserem Land und seinen Armen den Liebesdienst Jesu erweisen. Und deshalb sind wir auch dankbar für die Anfänge.“ Wenn sie wollten, könnten sie Nächte lang Geschichten erzählen, bei denen die alten weißen Missionare gar nicht gut aussehen. Aber sie tun es nicht. Denn Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade.

Weiße Flecken im geografischen Sinn gibt es auf dem Atlas der Weltkirche heute nicht mehr. Menschen, die im Auftrag Jesu reden und handeln, finden sich in buchstäblich in aller Herren Länder, natürlich meist als Minderheit unter ihren Landsleuten. Per GPS lässt sich jeder christliche Versammlungsort auf Erden auf den Meter genau lokalisieren. Die Delegierten für die großen christlichen Weltkonferenzen haben heute Flugpläne im Aktenkoffer. Wichtiger: christliche Verkündigung und Lehre sind längst keine Einbahnangelegenheit mehr. Nehmen wir nur den Sammelbegriff „Theologie der Befreiung“. Von Südkorea bis Brasilien, von Indien bis nach Südafrika gehören dazu ganz und gar eigene Anwendungen des Evangeliums auf das Leben der Armen unserer Zeit. „Lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ Eine Kirche, die das tun will, muss mit beiden Beinen im Leben ihres Volkes stehen. Unsere Art, christliche Theologie auf das Leben anzuwenden, ist heute in der Weltkirche nur noch eine von vielen und nicht mehr die des Lehrmeisters.

Also noch einmal: Missionsbefehl ausgeführt? „Mission accomplished“, wie der US-Präsident auf einem Riesenbanner an Bord eines Flugzeugträgers verkünden ließ, als das Kriegselend im Irak gerade erst losging. Nein, völlig abwegig ist der Vergleich nicht. Denn wer die Berichte liest, die in früheren Generationen das Herz der Missionsfreunde wärmen sollten, findet viele Anklänge an Kriegssprache. Heiliger Krieg um Menschenherzen eben. Die kirchengeschichtliche Epoche, in der Deutsche auszogen, um Afrikaner zu bekehren, ist aufs Ganze gesehen wirklich vorbei. Aber die weiten Wege, auf die Jesus seine Botinnen und Boten schickt, sind darum nicht kürzer und einfacher geworden.

Gehet hin“, sagen wir mal in die Welt der jungen Leute, die in meinem Dorf gerade noch den betonierten Parkplatz des Supermarktes haben, um sich zu treffen und sich zuzudröhnen? Wer kennt in meiner Gemeinde überhaupt den Weg zu ihnen, zu ihren Gefühlen, Gedanken und Träumen? Gehet hin“, in die Welt der neuen Armut in unserer Nachbarschaft. Wie viel weiß meine Gemeinde am Stadtrand von Magdeburg von den Alltagssorgen der alleinerziehenden Mutter, die mit Hartz IV klarkommen muss; die entweder einen verzweifelten Kampf kämpft oder – hinter einer anderen Wohnungstür – schon aufgegeben hat und an der Flasche hängt? Damit wir uns recht verstehen: in meiner Gemeinde gibt es, wie bei euch, nicht wenige engagierte, ihren Mitmenschen zugewandte Christenmenschen. Aber die meisten von uns leben doch eher in gesicherten Verhältnissen. Da denkt und fühlt und hofft man anders als dort, wo alles sowieso keinen Zweck zu haben scheint. Jesu „Geht hin“ wird in solcher Situation zu einem Auftrag, dessen Erfüllung überhaupt nicht leicht fällt. Gehet hin“ zu den Leuten, die bei uns zu den Prügelknaben der Frustrierten werden: die Farbigen mit und ohne Doktortitel, die jüngeren Menschen mit den charakteristischen schwarzen Haaren, einerlei ob Flüchtling, deutscher Staatsbürger, Dönerverkäufer oder Schwarzarbeiter. Ich weiß nicht, in wie vielen der Gemeinden rund um Magdeburg die Christenmenschen wirklich eine Vorstellung davon haben, was für ein Land das ist, in dem man nicht unbefangen auf die Straße gehen kann.Gehet hin!“ Ich weiß von einer Gemeinde in der Nähe, die das bewusst tut. Sie ist zur Heimat für Menschen aus vieler Herren Länder geworden – und wächst dabei selber an Zahl und innerer Kraft. Dies sind Beispiele für ferne, auf uns verschlossen wirkende Länder, Lebensräume, auf keiner Landkarte verzeichnet, nebenan und so weit entfernt wie auf einem anderen Stern. Gott sei Dank, mögen wir noch hinzufügen.

Die Sehnsucht in die geografische Ferne schweifen lassen, ist eine ziemlich leichte Sache. Und preiswert dazu, wenn man einen Blick für Schnäppchen hat. Gerade wer mehr als einmal knüppelvolle, von Leben, um nicht zu sagen von action berstende Gottesdienste im Süden der Welt miterlebt hat, mag spirituelle Fluchttendenzen entwickeln. Aber Jesus sagt heute, was die Kilometer beim missionarischen Einsatz angeht: „Hier geblieben!“ Unser eigenes Land und Volk umschließt mehr oder weniger verborgen die Welten der Not und der Hoffnungslosigkeit, in die sich unsere Kirche aufs Ganze gesehen erst noch hineintrauen muss. Mühsame, lange, vielleicht auch an Enttäuschungen reiche Wege. Aber sie beginnen damit, dass eine Gemeinde den ersten Schritt wagt. Diese ersten Schritte sind so verschieden, wie die Lebensumstände von Gemeinden sich unterscheiden. Nur einfach sitzen bleiben: damit ist Jesus nicht einverstanden. Jesus geht mit, und ihm gehört „alle Gewalt im Himmel und auf Erden“. Das ist kein weltlicher oder geistlicher Totalitätsanspruch, nein das ist die Proklamation: Der Liebe und Barmherzigkeit Gottes gehört auf Erden das letzte Wort. Das gilt Generationen und menschliche Zeitalter übergreifend: „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende!“

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