Simeon und Jesus

2. Weihnachtstag, 26. Dezember 2008

Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel.

Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

(Lk 2,25-35)

So etwas kennen wir eher als Märchenmotiv. Ein hellsichtiger Mensch besucht einen Säugling, meist einen prominenten, und erkennt seinen künftigen Weg. Die gute Fee ist das z.B. oder auch die böse. Sie können beide nicht schweigen. Und was sie sagen, wirkt wie ein Segen oder ein Fluch, je nachdem. Der alte Mann Simeon ist keine männ­liche Fee. Er ist selber einer, der auf Gottes Handeln wartet. Seine Jahre werden knapp. Aber er ist erfüllt von der Gewissheit, dass er noch Zeuge der großen Erlö­sungstat Gottes werden wird, solange er lebt. Er wird den Heiland sehen – den, durch den Gott seine Versprechen an die Gemeinde Israels einlösen wird.

Da wird die Ungeduld des Alters zum Einfallstor des Irrtums. Die Urteile von uns Alten über den Lauf der Zeit haben ihre typischen Fehlerquellen. Darum wohl lässt der Evangelist Lukas uns wissen, dass der alte Simeon einem besonderen Impuls des Gottesgeistes folgt, als er just zur selben Stunde wie Jesu Eltern im Tempel erscheint, statt daheim der Ruhe zu pflegen.

Bevor Simeon etwas sagt über den Säugling, den er in den Armen halten darf, ist es an ihm, Gott für die Erfüllung seines eigenen Lebens zu danken. Die berühmten Worte, oft vertont und gemalt, den mit biblischen Texten vertrauten Christenmen­schen auswendig im Sinn: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Fragt mich nicht, woher Simeon seine Gewissheit nimmt. Kein Interview mit den Eltern, kein theolo­gisches Gutachten, keine Meditationsübung. So wahr der Heilige Geist Gottes kein Phantasiegebilde ist: die meisten Glaubens- und Gewissensentschei­dungen unseres Lebens fallen, bevor wir ihnen Stützpfeiler des Verstandes oder der Psychologie zur Seite stellen.

Das Leben des Alten neigt sich dem Ende zu. Aber Gottes große Taten schenken ihm Anteil an der Zukunft. Jetzt geht es um mehr als sein schon gelebtes Leben. „Ein Licht, zu erleuchten die Heiden,“ formuliert Martin Luther. Das wird die Wirkung dessen sein, dessen Anfang Simeon noch erleben darf.

Das deutsche Wort „Heiden“ ist im heutigen Sprachgebrauch belastet. Es klingt nach „Ungläubige“, nach Menschen zweiter moralischer Ordnung, nach Objekten dringli­cher Missionsbemühungen, wahlweise, um sie vor der Hölle zu bewahren oder um das Reich Christi zum Sieg zu führen. Trennen wir uns von diesem Gemisch von Empfindungen, die sich als wenig friedensstiftend und für Missbrauch offen erwiesen haben.

Sagen wir statt „Heiden“ einfach, Menschen, die noch keine guten Erfahrungen mit unserem Gott gemacht haben. Diese Beschreibung enthält nicht den Hauch eines moralischen Urteils. Solche Menschen finden sich zuhauf in allen Religionen und Weltanschauungen – und selbstverständlich auch unter uns Kirchenmitgliedern.

Solche Menschen, denen es an guten Gotteserfahrungen mangelt – sie werden durch die Begegnung mit Jesus Klarheit gewinnen, was im Leben wirklich zählt. Um nur an zwei dieser „erleuchteten Heiden“ aus den Jesusgeschichten zu erinnern: der römi­sche Hauptmann, der sich so vorbehaltlos auf Jesus verlässt, dass dieser ausruft: „Solchen Glauben habe ich in Israel bei niemandem gefunden!“ Oder die samarita­nische Frau am Brunnen: Angehörige einer Gottesgemeinde, die dem Tempeljuden­tum nahe steht und gerade deshalb besonders verhasst ist. Oder die kanaanäische Frau: sie überwindet aus Liebe zu ihrer kranken Tochter den abweisenden orthodoxen Juden in Jesus und führt ihn auf den Weg der Barmherzigkeit. „Frau, dein Glaube ist groß,“ so das Fazit Jesu.

„Ein Licht, zu erleuchten die Heiden“ – im Leben Jesu erfüllt sich die Vision des Simeon nicht in spektakulären Missionsfeldzügen, sondern in einzelnen Begegnun­gen, in denen die Liebe das letzte Wort behält. Und wer der christlichen Missionsge­schichte auf den Grund geht – dem Wachsen und Vertrocknen von Gemeinden und Kirchen, wird bestätigt finden, dass wir das Licht nur weitertragen können wie Jesus selbst: von Mensch zu Mensch; als Glaubende, die herausgefordert und in Frage gestellt werden, wie sogar Jesus selber.

In des Summe des Lebens, des Lebens Jesu und des Lebens seiner Gemeinde erfüllen sich so die Segensworte des Simeon für Maria: „Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“ Ein Licht für Menschen, die mit Gott noch keine guten Erfahrungen gemacht haben: plötzliches Licht kann uns heftig erschrecken; vom Licht kann man sich abwenden, nahezu instinktiv. Lichtquellen lösen manchmal Aggressionen aus, Zerstörungswut – nicht nur im Krimi.

Jesus – das Zeichen, dem nicht allein widersprochen wurde zu seinen Erdentagen; dem widersprochen wird bis heute. Da ist die offene, auch die radikale Religions­kritik, die zu einer freien Gesellschaft gehört, allemal besser als ein von religiösen Herrschern und ihren Schergen verordneter Gottesstaat. Widerspruch gegen das „Zeichen Jesus“ hat nichts mit Gotteslästerung zu tun. Wer das feststellt, hat Jesus selbst auf seiner Seite. Um Jesu willen bräuchten wir auch keinen Gotteslästerungs­paragraphen im Strafrecht. Wenn der einen Sinn haben soll, dann höchstens wegen der Friedenspflicht zwischen den Menschen.

Aber zur Wahrheit gehört, dass es Weihnachten 2008 auch den Widerspruch gegen Jesu Wort und Person gibt, der zur nackten Gewalt wird, der Menschen mit Angst erfüllen soll, sie in die Flucht treiben; Widerspruch, der zum Mord wird. Unsere öffentliche Benimmregel, nach der man sich wegen Religion oder Nicht-Religion nicht an die Köppe kriegt, trägt vielerorts auf Erden nicht. Es gibt sie wirklich, die Glaubensgeschwister, die ohne die Hand gegen ihre Nachbarn erhoben zu haben, den Widerspruch gegen das „Zeichen Jesus“ am eigenen Leib erdulden müssen. Unser Einstehen für sie darf keine Frage des „gelegen oder ungelegen“ sein.(Nordkorea)

„Ein Zeichen, dem widersprochen wird. „Und auch durch deine Seele“ – enden die Worte des Simeon an Maria – „wird ein Schwert dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“ Das ist der Widerspruch gegen Jesus, wo er mir am nächsten kommt. Der Widerspruch in meinem eigenen Herzen. Was soll am Ende gelten? Welche Lebensregel? Die Liebe, Feindesliebe eingeschlossen, oder die Selbst­behauptung im Verdrängungswettbewerb? Ist meine Verpflichtung zum Teilen des Täglichen Brotes, zur Bewahrung der Schöpfung wirklich ein lebensfreundliches Gottesgebot – oder eine Zumutung. Kommt Jesu Ruf zur Vergebung nicht doch rasch an natürliche Grenzen der Zumutbarkeit? Wer kann uns unerbittlicher zur Rede stellen, scharf wie ein Schwert, als diese Stimme der Versuchung in uns selber?

Jesus vertraut darauf, das Gott dieser Stimme der Versuchung in uns die endgültige Macht nehmen kann „Führe uns nicht Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ Das erste Ziel dieses Bösen: uns abzuschneiden von der visionären Erkennt­nis des Simeon über diesen Jesus. Aber auf Gott ist Verlass. Er schenkt mehr Glauben, als die Versuchung zu töten vermag.

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