Ostern zum Ersten


Grüß Gott, liebe Christenmenschen,

nun darf ich zum zweiten Mal das Osterfest der Christenmenschen miterleben. Für unsereinen ist das keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Unser Leben währt eben nur 70 Wochen, und wenn es hochkommt, so sind es 80 Wochen. Darum machen wir Kirchenmäuse auch Ernst damit, was die Pastoren gelegentlich von der Kanzel sagen: Wir feiern jeden Sonntag Ostern. Dann erkläre ich meiner Familie, daß auch wir Mäuse Grund zur Freude haben. Denn unser Schöpfer kümmert sich nicht nur um die Christenmenschen. Er hört auch das Seufzen der Kreatur‚ viel besser jedenfalls als die Menschen. Er wird uns bei seinem Erlösungswerk bestimmt nicht vergessen!

Mein erstes Osterfest im letzten Jahr war allerdings eine herbe Enttäuschung. Von Weihnachten war ich einiges gewöhnt. Da platzte unsere Kirche aus allen Nähten. Die Geburt des Heilandes ist ja auch wirklich ein Grund zum Feiern. Was wird da erst los sein, wenn die Christenmenschen seine Auferstehung feiern! Schließlich ist das das A und O ihres Glaubens: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

Na, und dann verloren sich am Ostermorgen gerade hundert Männekes im weiten Kirchenschiff und sangen die schönen Osterlieder. Wo waren all die anderen vom Heiligabend oder auch nur die Christenmenschen, die noch zwei Tage zuvor den Kreuzestod unseres Erlösers betratet hatten Ich gebe zu‚ daß mir da allerlei Gedanken gekommen sind, und manche waren gar nicht schmeichelhaft für die Christenmenschen. Aber Maus soll eben nicht vorschnell urteilen.

Inzwischen habe ich weiter nachgedacht und mir die Ostergeschichten noch einmal gründlich durchgelesen. Und jetzt bin ich wohl hinter des Rätsels Lösung gekommen. Alles spricht dafür, daß die Christenmenschen einfach nur ausführen, was unser Herr ihnen aufgetragen hat. Die Frauen am leeren Grab sollten doch hingehen und den Jüngern Bescheid sagen, daß der Herr auferstanden ist. Da hat es bei mir Klick gemacht. Deshalb sind die Christenmenschen am Ostermorgen nicht in der Kirche. Die sind unterwegs, um Nachbarn und Freunden Bescheid zu sagen: „Jesus lebt! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Ist ganz logisch, Maus muß nur darauf kommen. Und eine schöne Sitte ist es außerdem. Warum nur hat uns niemand darüber informiert?

Jetzt, wo mir klargeworden ist, wie die Christenmenschen Ostern feiern, werde ich’s genauso machen. Ich werde die benachbarten Mäusefamilien besuchen und ihnen unsere Mäuse-Osterbotschaft überbringen: Der Schöpfer hört das Seufzen der Kreatur! Wir werden uns dann ja am Ostermorgen auf der Straße sehen. Frohe Ostern,

Eure Kirchenmaus