Auferstanden von den Toten

Apostolisches Glaubensbekenntnis (7)

06.04.2014

„Am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters“

Nur zwei der vier Evangelien, die vom Leben Jesu berichten, erzählen auch von seiner Kindheit, von Weihnachten, wenn ihr so wollt. Ein schlichter Hinweis darauf, dass Weihnachten nicht der harte Kern unseres Glaubens sein kann – und erst recht nicht das, was wir mit einer Riesenportion Kitsch und Konsum daraus machen.

Mal zugespitzt gesagt: wir könnten auch Christenmenschen sein, wenn wir auf einer einsamen Insel lebten, wo Bücherfledderer aus der einzigen verfügbaren Bibel jeweils die ersten beiden Kapitel des Lukas- und des Matthäus-Evangeliums herausgerissen hätten. Wir müssten dann ohne den Stall von Bethlehem auskommen und ohne die Weisen aus dem Morgenland. Aber ansonsten bliebe Jesus derselbe herausfordernde Jesus, ob seine Worte und Taten nun unser Herz erreichen oder nicht. Das war zu seinen Lebzeiten ja auch schon unterschiedlich.

Das kleine Gedankenexperiment umgedreht: ein Bösewicht reißt aus unserer einzigen Bibel jeweils das letzte Kapitel der vier Evangelien heraus. D.h. bei Johannes fasst der Wüterich noch etwas gröber zu und rupft gleich zwei Schlusskapitel heraus. Dann bliebe einschließlich Weihnachten alles erhalten, all die großen Taten, Jesu Weltsicht und Gottesbild auf den Kopf stellenden Worte. Aber den Schlusspunkt bildete der schreckliche Kreuzestod. Das Scheitern eines Menschenfreundes und Gottesverkünders auf ganzer Linie.

Sehr vieles spricht dafür, dass die Geschichte Jesu uns in diesem Fall gar nicht mehr vor eine persönliche Entscheidung stellen würde, pro oder contra. Ohne Ostern wäre die Überlieferung von dem großen Rabbi Jesus von Nazareth im Laufe der Zeit immer spärlicher geworden – einige Generationen vielleicht hätten sie noch von ihm erzählt, innerhalb der Familien seiner engsten Anhängerschaft, mit oder ohne schrift­liche Zeugnisse. Die Geschichte der Menschheit ist mit hoher Wahrscheinlichkeit voll von vergessenen Herzensbewegern und Sinndeutern. Das nimmt diesen Menschen nichts von ihrer Bedeutung für ihre Zeitgenossen. Aber auch die Glaubensgeschichte der Menschheit hat längstverschüttete Schichten, wie wir sie aus der Geschichte von Natur und Kultur kennen.

Erst die Ostererfahrung der Seinen macht die Botschaft und die Person Jesu zeitlos, genauer gesagt, gültig zu jeder Menschenzeit. Der atemberaubende Satz „Der Herr ist auferstanden“ steht dabei für eine beinahe verwirrende Vielfalt von Hauptperso­nen, Schauplätzen, seelischen Zuständen, Alltagssituationen, Zeitpunkten. Wollte man alles, was die vier Evangelien und die Apostelgeschichte an Ostergeschichten enthalten, in eine logische Reihenfolge zu bringen versuchen – das gäbe ein ziemliches Durcheinan­der. Frauen zuerst, in den Untergrund gegangene verängstigte Jesus-Anhänger in Jerusa­lem; die trauernden Wanderer auf dem Weg nach Emmaus; die Fischer am fernen See Genezareth, die längst in ihren Alltag zurückgekehrt waren; viel später der Christen­verfolger Saulus von Tarsus, alias Paulus, vor den Toren von Damaskus.

Und über und unter dem allen die Feststellung, mit der das Markusevangelium wohl ursprünglich endete (Mk 16,8). Von den Frauen am Grab Jesu heißt es da: „Und sie gingen hin und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“ Bei Matthäus (28, 8)wird daraus immerhin die Variante: „Sie gingen in Eile weg von dem Grab in Furcht und großer Freude.“ Und sie sagen dann auch den Männern Bescheid.

Trotzdem: da ist keine einzige Ostergeschichte, in der die Frauen und Männer selber auf den Trichter kämen. Jedesmal ist es Jesus, der auferstandene Christus, der sich selbst zu erkennen gibt, den Augen und den Herzen. Die Jesus-Leute bleiben Menschen wie du und ich. Ihre Liebe zu Jesus bietet Anknüpfungspunkte für Ostern, ja. „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?“ fragt einer der Emmaus-Jünger. Auch bei dem Fisch-Picknick am Seeufer ist von einem Gefühlsausbruch von Jüngerliebe die Rede. Aber immer, immer ist es Christus selbst, der das Vertrauen in seine Gegenwart und Vollmacht in die Herzen senkt. Jede Zeit ist künftig Gottes Zeit, die Zeit des barmherzi­gen und des gerechten Gottes. Das meinen wir, wenn wir sagen, dass Christus lebt, unter uns und für uns.

Die Menschen, die für uns die mündlichen Überlieferungen über Jesus, den aufer­stande­nen Christus, schriftlich festgehalten haben, waren Zeitgenossen der frühen Kirchengeschichte. Sie lebten unter Menschen einer zweiten und einer dritten Generation nach Jesus. Viele Zeitzeugen der Tage von Karfreitag und Ostern lebten nicht mehr. Viele Jesus-Leute lebten inzwischen auch fernab der Zentren des Judentum, aus dem Jesus hervorgegangen ist. Die frühe Jesus-Gemeinde war in Selbstausbreitung begriffen, durch Mission und Migration. Als sich in der Jesus-Gemeinde ein Glaubensbekenntnis herauszubilden begann, lebten die Schwestern und Brüder bereits flächendeckend verteilt unter dem ganzen damals bekannten Himmel. An die Stelle der Ostererlebnisse derer, die Jesus einst persönlich kannten, trat der Gedanke an den Christus, der bei Gott ist und eben deshalb den Seinen zuverlässig nahe.

Himmelfahrt: Ihr werdet wissen, dass das kein Jesus vorbehaltenes Wunder ist. Denkt beispielsweise nur an den Propheten Elia oder an den Propheten Mohammed der Muslime. Gott behält sich immer wieder vor, Menschen auf dramatische Weise an seine Seite zu holen. Ein Bild natürlich, aber ein Kraft spendendes! Die Zurück­bleibenden auf dem Berg in Galiläa sind nun Treuhänder und Agenten der Frohen Botschaft. Aber wohin es sie auch verschlägt, Christus wird dort sein – ganz ohne den Trick aus dem Märchen vom Hasen und vom Swinigel. „Aufgefahren in den Himmel“, das bedeutet im Umkehrschluss: es gibt keine ein für allemal von Gott verlassenen Orte und Situationen auf Erden. Kein Ort, wo die Seinen nicht auf Christus zählen können. Der im Himmel lebt, lebt mit den Seinen auf Erden, überall!

Allerdings, über den Himmel reden wir zwangsläufig wie die von Geburt an Blinden über Farben. Auch bei den frömmsten Himmelsbildern gerät der nüchterne Mensch mitunter ins Stottern. Ich liebe den 50 Jahre alten Zeichentrickfilm mit dem schnauz-bärtigen Dienstmann Nr. 172 vom Münchener Hauptbahnhof, dem es davor graust, im Himmel für alle Zeit und Ewigkeit eine Harfe zupfen und dazu Halleluja singen zu müssen. „Luja, soag I“, grantelt er und lässt mich in gewisser Ratlosigkeit zurück. Aber auch die bunten himmlischen Familien-Idyllen auf den Broschüren der Zeugen Jehovas sind blindes Menschenwerk; erst recht die ziemlich sinnlichen Paradies-Verheißungen für muslimische Dschihad-Märtyrer.

Deshalb fügt unser Glaubensbekenntnis dieser Galerie egoistischer menschlicher Wunschbilder kein weiteres hinzu. Der Satz „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmäch­ti­gen Vaters“ soll statt dessen Vertrauen wecken für unseren irdischen Glaubensweg. Der Platz zur Rechten Gottes ist ein Bild, das dem 110. Psalm entnommen ist – ursprünglich bezogen auf den König David. David, das Urbild aller Hoffnungsträger Israels, von Gott berufen und geliebt, nicht blind geliebt, sondern trotz mancher Untaten, auch verurteilt, dennoch wieder angenommen. Später Synonym für alles, was Gott dem historisch weitgehend gescheiterten Israel schließlich doch noch an Barmherzigkeit zuzuwenden verspricht.

Jesus, der Christus, auf dem Stuhl Davids an der Seite Gottes. Das soll heißen: mehr kann Gott nicht versprechen und einlösen, als er durch Jesus Christus schon verspro­chen und eingelöst hat. Deutlicher kann seine Liebe zu diesem Jesus nicht beschrie­ben werden, als durch die Verwirklichung dessen, was im 110. Psalm noch eine Vision war – Gottes ins Bild gesetzte Liebeserklärung. Und für unseren Lebensweg, für unsere Entscheidungen und Hoffnungen die Gewissheit, uns an den zu halten, an dem das Herz Gottes hängt. Kein Bild des Triumphes, ein Bild der Liebe, der Treue, der Geborgenheit. Ein Bild, das auch uns selbst diesem Gott nahe bringt. Denn wenn Jesus etwas immer wieder betont hat, dann dies, dass er um nichts in der Welt von den Seinen getrennt sein wollte.