Ergänzungsvorschlag

Die Blumenhändlerin sorgt sich offenbar um das Liebesleben bei uns im Dorf. Seit der Kalender im Februar angekommen ist, veranstaltet sie vor ihrem Laden einen sorgfältigen Valentinstag-Count-Down. Auf dem Fußweg zur Bahnstation müssen wir alle an ihrem täglich aktualisierten Aufsteller vorbei: „Noch 10 Tage bis zum Valentinstag“, stand da zu lesen; noch 9 Tage, noch 8. Dann schon etwas dringlicher: „Nur noch 7 Tage“; Später richtig besorgt: „Nicht vergessen: in 4 Tagen ist Valentinstag!“ Vorhin las ich dann: „Heute letzte Gelegenheit! Morgen ist Valentinstag!“

Wir sind nicht ins Geschäft gekommen. Obwohl ich immer, wenn es sich ergibt, einem kleinen Laden den Vorzug gebe vor Ketten und großen Märkten. Meine Kaufverweigerung hat auch nichts damit zu tun, dass ich ein alter Knacker bin, während das Werbe-Trallala zum Valentinstag auf die rosarote junge Liebe zielt. Blumen im Februar sind ja eigentlich keine schlechte Idee, wenn man ein paar Euro übrig hat.

Nein, was mich nachhaltig einrasten lässt, ist die fast bewundernswerte Kaltschnäuzigkeit, mit der Süßwaren- und Blumenindustrie so tun, als gäbe es hier ein volkstümliches Erbe, vielleicht sogar ein nationales Kulturgut zu pflegen, lediglich mit freundlicher Hilfestellung von ein paar Dienstleistern. In Wahrheit ist dieser Valentinstag in Deutschland ein 100-prozentiges Baby der Werbeabteilungen: ein abgehalfterter, lange gestrichener Tag aus dem katholischen Heiligenkalender. Der legendäre Original-Valentin fand sein Glück nicht in den Armen der Geliebten, sondern opferte sein Leben als christlicher Märtyrer. Aufgehellt durch allerlei hübsche Überlieferungen, die den Scharfrichter vergessen machten, ist der Valentinstag in der englischsprachigen Welt populär und beheimatet. Erst im Gepäck von GIs wurde er zusammen mit Coke, Hot Dog und Halloween an die Standorte der US-Army in Germany verfrachtet.

Der Muttertag, zweiter Großkampftag der Chocolatiers und Floristen, diesmal mit der Zielgruppe Mutti/Schwiegermutti, hat für den, der es wissen will, in den USA eine sehr ehrenwerte und emanzipatorische Entstehungsgeschichte, aber eben in der amerikanischen Gesellschaft des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts. In Deutschland machte nach dem Ersten Weltkrieg auch in diesem Fall der Blumenhandel den Anfang, natürlich alles andere als selbstlos.

Die vergleichsweise unschuldige Marketingidee „Muttertag auch in Deutschland“ spielte dann freilich dem entmündigenden Mutterkult der Nazis übel in die Hände. Muttertag und Mutterkreuz kleben historisch seitdem zusammen.

Ich erinnere mich an zwei familiäre Muttertagsreaktionen: die kleinen Überraschungen, die unsere Jungen aus Kindergarten und Grundschule am Muttertag nach Hause brachten, wurden immer liebevoll bewundert. Andererseits ist meine Frau wohl ziemlich froh darüber, dass unsere klugen Schwiegertöchter sie mit Muttertagskonventionen verschonen.

Valentinstag, Muttertag. Aber was machen wir mit der dritten Frauengeneration? Die Seniorinnen sind ja wirklich ein nicht zu übersehender Wirtschaftsfaktor. Denken Sie nur daran, was die alten Damen alles in der Hinterhand haben. Schließlich haben sie mehrheitlich ihre Gatten überlebt und beerbt. Und die meisten von ihnen machen ihr Testament immer noch selbst. Omas Geburtstag ist da vielleicht etwas zu wenig, um sich ausreichend in ihrem Gedächtnis zu platzieren.

Ich schlage der hilfsbereiten Blumenindustrie deshalb vor, den „Strohblumentag“ in ihren Jahreskalender aufzunehmen. Mitte, Ende September wäre nicht schlecht. Da klappt es auch mit der Ware. Und der Abstand zu der Totenfloristik an Allerheiligen/Totensonntag ist groß genug. So verteilen sich die Umsatzspitzen schön gleichmäßig übers Jahr. Die Story zum „Strohblumentag“ wird sich schon finden, wie sie sich für die anderen beiden Umsatzschlachten auch gefunden hat. Vielleicht lohnt es sich, mal bei den Chinesen oder Indern in alten Geschichten zu stöbern. Die haben es doch schon seit Urzeiten mit den Blumen.

Ich finde, mein Vorschlag hat noch mehr für sich: der Strohblumenstrauß („Unsere Oma verwelkt nicht“) verursacht keinerlei Arbeitsaufwand für das überlastete Personal im Pflegeheim. Kein Wasserwechsel; keine Überschwemmung, wenn die taperige Senionin der Vase zu nahe kommt.

Und wenn die Sache mit dem „Strohblumentag“ einmal läuft, findet sich bestimmt auch der japanische Elektronikriese, der für den Strohblumenstrauß den schnurlosen Mini-Staubsauger auf den Markt bringt, formfreundlich, im Rasierer-Format, auch für die zittrige Hand. Unsere Seniorinnen brauchen ja altersgemäße Aufgaben.

Bevor die Ideen vollends mit mir durchgehen: furchtbar! Geliebt zu werden ist ein Frauenrecht, weil es ein Menschenrecht ist – jenseits aller Paragraphen. Darum tun sie mir leid: Mädchen, Mütter, Großmütter, wann immer sie fühlen müssen, dass gekaufte Blumen ersetzen sollen, was sie nicht ersetzen können.

 

 


Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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