Beginn des Ramadan

18. Sonntag nach Trinitatis, 10. Oktober 2004


Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.

(Matthäus 6, 16-18)

Für eine stattliche Anzahl Magdeburger Familien beginnt in dieser Woche wieder der wichtigste Monat des Jahres. Dieser Kirchenraum ist gewiss zu klein, sie alle aufzunehmen. In meiner alten Heimatregion Ruhrgebiet oder in Berlin zählen sie nach Hunderttausenden: die Muslime, die sich jetzt wieder den Regeln des Fastenmonats Ramadan unterwerfen. Zusätzlich zu den täglichen Pflichten der Gläubigen verzichten die Erwachsenen zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Weil Essen und Trinken in die dunklen Stunden verlegt sind, hält sich die Selbstkasteiung in Grenzen. Aber die Disziplin den ganzen Tag über will erst einmal aufgebracht sein. Die gemeinschaftsbildende Kraft solch einer Tradition liegt auf der Hand – gerade in nichtmuslimischer Umgebung. Und die Zahl derer, die den Ramadan wirklich praktizieren, steigt unter Deutschlands Muslimen eher, als dass sie sinkt. Die Worte Jesu über die innere Ausrichtung beim Fasten werden bei Muslimen kaum Widerspruch finden. Nur ist der fastende Gläubige im Ramadan weniger die Ausnahme, wie das Jesuswort unterstellt, als die Regel. Am Ende des Ramadan gibt es dann das fröhliche Fest des Fastenbrechens – für deutsche Superintendenten inzwischen vielerorts Anlass, den Moschee-Gemeinden einen Gruß zu schicken. So weit, so gut. Wenn nicht der Islam auf viele von uns inzwischen wirkte wie das Damoklesschwert über unseren Köpfen. In seinem Namen werden abscheuliche Verbrechen begangen – auch in dieser Woche wieder. Fanatisierte Moslems nennen uns ohne Differenzierung Ungläubige, Kreuzzügler und stoßen böse Verwünschungen aus.

Eigentlich wissen wir ja, dass die Geschichte unserer Kirchen uns trotzdem zur Mäßigung im Umgang mit Muslimen anhält. Die Kreuzzüge unter Missbrauch des Namens Jesu gehören zum Schlimmsten, was die Welt gesehen hat. Und eigentlich ist uns auch klar, dass der muslimische Imbissverkäufer, der Taxifahrer oder die Lehrerin uns nicht übel wollen, sondern ihrerseits in Magdeburg in Frieden leben. Trotzdem, dieses Gefühl der Unsicherheit können viele von uns nicht abschütteln. Uns wäre wohler, die Welt wäre befreit von diesem globalen Konflikt, der tagtäglich das Wort „Islam“ in die Schlagzeilen bringt. Halten wir uns also an die Tatsachen, in der Hoffnung, dass sie unsere Friedensfähigkeit als Christenmenschen wie als Bürgerinnen und Bürger stärken. Tatsache ist, dass wir auf jede absehbare Zukunft mit dem muslimischen Bevölkerungsteil unseres Landes leben müssen. Hunderttausende sind bereits Landsleute im staatsbürgerrechtlichen Sinn, sprechen sächsisch und bayrisch. Millionen weitere werden hier bleiben, und wir sind sogar darauf angewiesen. Wenn ich mich im Ruhrgebiet am Anblick hübscher Mädchen freuen will, bin ich bei der Kinderarmut der alteingesessenen Deutschen weitgehend auf die jungen Türkinnen angewiesen. Dabei weiß ich, dass viele von ihnen es in Deutschland überhaupt nicht leicht haben.

Tatsache ist, dass der Islam, was Konfessionen und Frömmigkeits-Traditionen angeht, genauso so gespalten ist wie die christliche Ökumene. Fromme und friedfertige Muslime sind dem Missbrauch ihres Glaubens genauso wehrlos ausgeliefert wie wir. Ich selber möchte auch nicht, dass die verschiedenen sog. „Kriege gegen den Terror“ im Stil von Kreuzzügen gerechtfertigt werden. Und doch gibt es weltweit reichlich christliche Prediger und Gemeinden, die dies tun. Tatsache ist, dass der Glaube der Muslime sie anleitet, die Religion und die Dinge der Welt als Einheit zu sehen. Was sie glauben, soll sich wiederfinden in der Ordnung des öffentlichen Lebens. Das Reich Allahs ist sehr wohl auch von dieser Welt. Derselben Meinung waren die christlichen Kirchen und haben das Leben im Abendland bald 2000 Jahre lang entsprechend zu bestimmen versucht. Manches Mal, wenn es um nackte Macht ging, wirkte Jesu Wort „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ wie vollkommen in den Wind gesprochen.

Man sagt, es sei einfach, ein Muslim zu sein. Die fünf Säulen des Islam kann sich jedes Kind merken: das Bekenntnis zu Allah, auf Deutsch „Gott“, und zu seinem Propheten Mohammed, die täglichen Gebete, das Fasten, das Almosen und die Verpflichtung zu einer Wallfahrt nach Mekka. Das ist wirklich übersichtlich. Aber in Wahrheit umgibt die Muslime natürlich eine ganze Welt von Traditionen, Regeln und Geschichten, die uns fremd sind und sogar sehr verschieden sind in den großen Regionen und den Konfessionen der muslimischen Welt. Es gibt aggressiv-missionarischen Islam und solchen, der kaum um anders Glaubende wirbt. Die Glaubensfreiheit christlicher Kirchen stellt sich in den Dutzenden muslimischer Staaten verschiedener dar, als ich das in einer Predigt gebührender Länge erläutern könnte.

Judentum, Christentum und Islam werden immer in Beziehung zueinander gesetzt als die drei monotheistischen Buchreligionen. Das soll eine größere Nähe beschreiben, als wir sie etwa zu Buddhisten, Hindus oder zu den Glaubenden der Naturreligionen hätten. Freilich müssen wir uns um Genauigkeit bemühen. Die Juden gehören mit dem, was sie „Mose und die Propheten“ nennen (und wir das Alte Testament) ohne Zweifel zu unseren Müttern und Vätern im Glauben. Uns trennt das Bekenntnis zu dem Juden Jesus von Nazareth als Christus. Und – niemals zu verschweigen – die Schuld des Holocaust und ungezählter Pogrome in weiterer Vergangenheit. Mit den Muslimen teilen wir kein geschriebenes Gotteswort. Ihr Heiliger Koran bezieht sich respektvoll auf Namen und Ereignisse aus der Bibel, besonders dem Alten Testament. Aber neben dem Koran kann es auf Erden kein zweites „Wort Gottes“ geben. In seiner altarabischen Fassung ist der Koran direkt vom Himmel auf die Erde gekommen; nicht von geistgeleiteten Menschen aufgeschrieben, wie Juden und Christen das von ihren Schriften wissen. Und neben dem Propheten Mohammed kann es keinen zweiten Übermittler des einen Gotteswortes geben.

Wie also steht es mit der volkstümlichen Redewendung, schließlich hätten wir doch alle denselben Gott? Vom Himmel aus gesehen ganz bestimmt. Aber aus menschlicher Perspektive? In der Realität menschlichen Erlebens? Erst einmal „haben“ wir Gott nicht wie ein Paar eingelaufene Schuhe. Wir erleben Gott, wir machen Erfahrungen mit ihm, gute oder enttäuschende. Die einschneidenden Erlebnisse mit Gott, von denen Israel seit mehr als hundert Generationen erzählt, sind auch Teil unserer Gotteserlebnisse. Wir erkennen in ihnen Gottes Wesen und sein Gesetz des Lebens. Und wir wissen zugleich, dass Israel noch auf seinen Messias wartet. Den Muslimen begegnet das Wesen und der Wille Gottes ausschließlich im Koran. Sie können gar nicht anders, als aus dieser Begegnung ihre Urteile zu bilden. Da wird der Dreieinige Gott der Christen zu einem theologischen Monster, das die Heiligkeit und Einzigkeit Allahs beleidigt. Gott am Kreuz ist den Muslimen wirklich ein Ärgernis; ganz ehrlich und ohne Boshaftigkeit. Und da sie die christliche Welt kennen, wissen sie auch, dass große Teile der Christenheit die Mutter Jesu wie eine vierte göttliche Person verehren. Nicht in der Lehre selbstverständlich – aber im Leben. Nein wir erleben nicht denselben Gott, sodass wir auch im Gebet nicht einfach überzeugt sein können, an dieselbe Tür zu klopfen. Jeder betende Mensch ist in dieser Welt unser Bündnispartner. Aber wir alle können nicht anders, als in Glaubensdingen von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben. Und das ist für die Gläubigen dieser Welt nicht dasselbe. An Jesus führt für uns kein Weg vorbei. Und für die Muslime kein Weg am Koran und seinem Übermittler.

Am Ende also doch Kreuzzug und Heiliger Krieg? Gott bewahre! Christenmenschen brauchen sich nur an Jesus zu halten, um diesen Wahnsinn für sich auszuschließen. Es gibt kein Reich Christi auf dieser Welt, das darauf angewiesen wäre, mit Waffengewalt verteidigt zu werden. Und die Muslime? Ich kenne keine lebenserhaltende Tugend, die nicht auch im Koran und der islamischen Tradition hoch geachtet wird. Es gibt im Islam die weit verbreitete Überzeugung, dass der Heilige Krieg eine Sache der menschlichen Seele sei und keineswegs des Schwertes oder der Bombe – so wie etwa in den paulinischen Bildern von der geistlichen Waffenrüstung. Bei dieser vom Glauben geleiteten Arbeit an sich selber kommen auch in der muslimischen Welt viele Lebensläufe heraus, die unserem Gott gefallen. Es ist hoffentlich fast überflüssig, das zu sagen. Erstes gemeinsames Anliegen von Christenmenschen und Muslimen in Magdeburg und überall muss es darum sein, dem Missbrauch unserer Glaubensschätze zu wehren – jeweils im Sinne des Balkens im eigenen Auge. Dann sollten wir dafür dankbar sein, dass die anderen beten, also offen sind für Antworten, die die Enge unserer Herzen überwinden. Dann ist es an uns allen, gemeinsam das Beste für Stadt und Land zu suchen. Bei vielen Muslimen in Deutschland gibt es längst diese Bereitschaft, einen friedlichen Patriotismus in ihrer Heimat Deutschland zu praktizieren.

Vor allem, und das geht zuerst an die christliche Adresse: wir sollen leben, was wir sind. Allein unsere Verfassung macht es sinnlos, den Bau weiterer Moscheen zu bejammern und zu bekämpfen. Wir haben genug damit zu tun, die Botschaft Jesu neu unter die Leute zu bringen und christlichem Leben Profil zu verleihen. Viele Muslime beklagen den Mangel an solchem Profil – und Gesprächspartnern, die dafür stehen. Die fastenden Muslime im Ramadan sind da eine lebendige Herausforderung im friedlichen Sinn des Wortes: An welchen Stellen lasse ich mich meinen Glauben etwas kosten, so dass es wirklich Mühe und innere Ausrichtung kostet? Der Frage nachzugehen lohnt sich, wenn die Medien diese Woche vom Ramadan in Deutschland berichten werden.

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