Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (bzw. Zentnern oder Talenten)

9. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juli 2008


Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.

Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.

Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

(Matthäus 25, 14-30)

Eine ganze Reihe von Gleichniserzählungen Jesu beginnt mit diesen Worten: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit…“. „Himmelreich“, eine Sache, die Jesus ganz besonders wichtig ist; von der er will, dass die Leute, dass wir, sie verstehen. „Himmel­reich“, das ist offenbar eine Beziehungskiste! So, wie der Volksmund behaup­tet, dass zwei im 7. Himmel sind. Das „Himmelreich“, das Jesus meint, ist geprägt durch die Beziehung von uns Menschen zu Gott. Und man kann gar nicht so einfach sagen, wo dies Himmelreich denn zu finden ist, im Himmel oder auf Erden. Die Gleichniser­zäh­lung jedenfalls klingt sehr irdisch, ist auch so gemeint. Von Möglichkei­ten und Verantwortung des irdischen Menschenlebens ist die Rede, im Bild, wie in seiner Auslegung.

Die Aufgabe, vor die die drei Sklaven im gehobenen Dienst in Jesu Erzählung gestellt werden, wäre nichts für mich. Gewinnmaximierung, noch dazu im komplizierten Spezialgebiet der Spekulation mit Edelmetallen. Das klingt nach Börsenspiel, Zocken, haarsträubenden Risiken, Gratwanderung zwischen Triumph und Absturz. Die drei Edelmetallhändler haben offenbar Prokura, jedenfalls in Höhe des Depots, das sie verwalten. (Talente erklären) Da ist keine Aufsicht vorgesehen, keine abendlichen E-Mails an den fernen Eigentümer, auf Grund deren er die getätigten Geschäfte geneh­migt. Er ist nicht aus dem Sinn, aber aus dem Tagesgeschäft hält er sich raus.

Seltsame Verhältnisse, wenn man bedenkt, dass die Beziehung zwischen dem fernen Eigentümer und seinen Bevollmächtigten ja mindesten einige Wesenszüge der Beziehung zwischen uns und Gott abbilden soll. Der Mensch, ein Prokurist Gottes, sein Handlungsbevollmächtigter – allein auf weiter Flur?

Wir setzen doch eigentlich darauf, dass Gott diese Welt und in ihr unserer persönli­ches Leben in Händen hält und bis in die wichtigen Einzelheiten hinein bestimmt. Wir wollen nicht darauf verzichten, Gottes Hilfe, seine Kraft für unseren Alltag in Anspruch zu nehmen. Dazu passt schlecht das Bild eines Mächtigen, der sich für unabsehbare Zeit auf Reisen begeben hat; der wohl sein Hab und Gut und seine Anweisungen hinterlassen hat – aber ansonsten derzeit nicht zu fassen ist.

Nun haben Jesu Gleichnisse immer einen springenden Punkt und können nicht in jedem einzelnen Zug in die Wirklichkeit von Leben und Glauben übertragen werden. Für Jesus selber ist Gott ja nicht der Ferne, sondern der Allernächste überhaupt – wie könnte er sonst Gottes befreiende Kraft in Anspruch nehmen, in jeder Stunde, in jedem Moment, da es gilt, Schuld zu vergeben oder aus Krankheit zu befreien? Das ist kein Gott, „zur Zeit mit unbekanntem Ziel verreist“.

Andererseits ist dieses Merkmal der auf sich gestellten, eigenverantwortlichen, von ihrem Auftraggeber auf unbestimmte Zeit abgeschnittenen Auftragnehmer zu charakteristisch, als dass wir es einfach als erzählerische Zutat abtun könnten.

Der Ausdruck Knechte – wir würden heute höflicher von Mitarbeitern reden – beschreibt klare Verhältnisse. Die Reichen und Mächtigen der Antike hatten nicht nur sklaven­ähnliches Gesinde für die einfachen Arbeiten in Haus und Hof. Man hielt sich auch hochqualifizierte Spezialisten. Die konnten es nach den Gesetzen des „Goldenen Käfigs“ ganz gut haben. Aber sie blieben zu 100% vom Wohlwollen ihres Herrn abhängig. Die Machtverhältnisse waren unumkehrbar. Ein knapper Befehl konnte aus dem Oberaufseher einen Schweinehirten machen. Oben und unten, gottgleich hier – auf Gedeih und Verderb ausgeliefert dort.

Andererseits: der hohe Herr handelte töricht, der nicht die Fähigen unter seinen Domestiken herausfände und in entsprechende Positionen brächte, ja auch in das, was wir Vertrauensstellungen nennen. So handelt der Reiche vor seinem Aufbruch und lässt dabei seine Einschätzung vom unterschiedlichen Leistungsvermögen seiner Leute in die Anordnungen einfließen. Zwei Drittel des Edelmetall-Portfolios geht in die Treuhand-Verwaltung des besten Mannes. Die anderen beiden bekommen abgestuft ihre kleinere Verantwortung.

In der knappen Erzählung hören wir nichts von einer motivierenden Ansprache des Kapitaleigners. Seine Leute sind vom Fach. Sie wissen auch ohne große Worte, wozu Vermögenswerte da sind: sich zu vermehren. Der Sparstrumpf war immer schon etwas für Ängstliche.

Unerwähnt bleiben auch die Geschäftspraktiken der beiden Verwalter, die jeder eine 100%-Rendite erzielen: konservativ, vorsichtig – oder eher mit Mut zum Risiko. Der heimgekehrte Besitzer will das auch gar nicht wissen – obwohl 100%: da muss er entweder sehr lange fort gewesen sein oder seine Leute müssen jede Gelegenheit beim Schopf ergriffen haben. Das Ergebnis zählt. Die Freude des Eigentümers gibt den Anlass für Anerkennung und Beförderung. Der Chef bleibt der Chef, aber diese bewährten Mitarbeiter stehen ihm künftig besonders nahe.

Der ängstliche Dritte hat dem Eigentümer keinen zählbaren Schaden zugefügt. „Sieh, da hast du das Deine.“ Aber das hilft ihm nicht. Zum Vorwurf wird die entgangene Rendite, und wenn es – übertragen auf unsere Verhältnisse – nur die einfachen Guthabenkonto-Zinsen gewesen wären.

So steht am Schluss das sinnentstellend zum Sprichwort gewordene „Wer hat, dem wird gegeben“ und der brutale Rauswurf des risikoscheuen und darum erfolglosen Verwalters. Soweit das Kapitalisten-Gleichnis. Das Gleichnis von der Edelmetallbör­se, bei dem es selbstverständlich nicht um Börsenkurse und Kontostände geht.

In Wahrheit, und das fällt uns bestimmt nicht schwer zu erkennen, geht es um die Schätze, die Gott jeder und jedem unter uns und auch der Gemeinde als ganzer anvertraut hat. Keine Silberbarren, sondern Glaube, Liebe und Hoffnung, die Begabungen unseres Geistes, die Stärken unseres Charakters, kurzum all das, was uns befähigt, Zeuginnen und Zeugen Jesu in unserer Zeit zu sein – wie es das Motto des heute zuendegehenden katholischen Weltjugendtages in Sidney ausdrückte.

Gott legt so viel davon in unser Leben in der Erwartung, in der Vorfreude, dass wir selbstständig und auch selbstverantwortlich etwas daraus machen. Du und ich, wir sind im Werk Gottes, in der Nachfolge Jesu keine willenlosen Marionetten. Wir sind selbstständige, ja unentbehrliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unsere Arbeit ist Gottes Arbeit. Unser Gewinn ist Gottes Gewinn. Gott ist so frei, sich bei seinem Werk und Ziel von unserer Treue, von unserem Einsatz abhängig zu machen.

Gott will dieses Wachstum: Wachstum an praktizierter Liebe, an Vergebung, an Frie­den – wo eine gute Erfahrung, ein gelungenes Wagnis das nächste nach sich zieht. Dabei kennt unser Gott nur einen Lohn: wie Paulus es ausdrückt, die Gewissheit, dass nichts, aber auch nichts uns trennen kann von seiner Liebe, die uns in Jesus begegnet.

Aber wir machen die Erfahrung, dass er die „Talente“ mitunter unterschiedlich zuteilt, an uns einzelne Christenmenschen, wie auch an ganze Kirchen oder auch Generationen von Kirchen. Es gibt laute Talente und leise Talente. Es gibt solche im Licht der Gemeindeöffentlichkeit und solche, die diskrete Nutzung verlangen. Gesegnet z.B. die Gemeinde, in der es Einzelne gibt, bei denen andere wirklich im Vertrauen ihr Herz ausschütten können.

Ich denke, wir sind dankbar dafür, dass manche mit der Verwaltung vieler Talente beauftragte Christenmenschen ihrer Aufgabe zur Zeit der Kirchen der DDR und während der friedlichen Wende nicht ängstlich gekniffen haben, sondern dem Friedensauftrag Jesu gerecht geworden sind.

Ich bin überzeugt, dass auch Mohamoud Mohamed Kheire im Sinn Jesu ein erfolgrei­cher Talentverwalter war. Er war, wie sein Name verrät, zwar Muslim. Als Leiter der Nothilfe-Partnerorganisation unserer Kirche in Somalia war er aber viele Jahre lang mutiger Lebensretter für Abertausende hungernder Kriegsflüchtlinge – bis er vor 10 Tagen in Mogadischu ermordet wurde.

Der unglückselige Dritte weiß genau, wozu Talente da sind und was sein Herr von ihm erwartet. Aber er scheut das Wagnis. Und das sieht er als seine Privatsache an. Verbun­den mit wahrscheinlich nicht ganz unberechtigten Vorwürfen schmeißt er seinem Herrn das unwillkommene Treuhand-Gut vor die Füße. Das ist sein böser Irrtum.

Sein Scheitern muss mir, muss uns zur Warnung dienen. Wer mit Gott leben will, muss mit seinen Gaben dazu beitragen, dass die Entfaltungskraft der Liebe in unserer Umwelt zunimmt. Nicht auf die Größenordnungen, geschweige denn auf Umsatzzahlen kommt es an, sondern auf das Bewusstsein, wie sehr unser Gott sich auf uns verlässt. So, wie Jesus uns zu beten anleitet: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“

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