Die Aussendung der 72 Jünger

2. Advent, 9. Dezember 2007


Predigt in der Markuskirche Magdeburg
anlässlich der Einführung bzw. Verabschiedung der Mitglieder des Gemeindekirchenrates

Danach setzte der Herr weitere zweiundsiebzig Jünger ein und sandte sie je zwei und zwei vor sich her in alle Städte und Orte, wohin er gehen wollte, und sprach zu ihnen: Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte.

Geht hin; siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe. Tragt keinen Geldbeutel bei euch, keine Tasche und keine Schuhe, und grüßt niemanden unterwegs. Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst: Friede sei diesem Hause! Und wenn dort ein Kind des Friedens ist, so wird euer Friede auf ihm ruhen; wenn aber nicht, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden. In demselben Haus aber bleibt, esst und trinkt, was man euch gibt; denn ein Arbeiter ist seines Lohnes wert. Ihr sollt nicht von einem Haus zum andern gehen. Und wenn ihr in eine Stadt kommt und sie euch aufnehmen, dann esst, was euch vorgesetzt wird, und heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.

Wenn ihr aber in eine Stadt kommt und sie euch nicht aufnehmen, so geht hinaus auf ihre Straßen und sprecht: Auch den Staub aus eurer Stadt, der sich an unsre Füße gehängt hat, schütteln wir ab auf euch. Doch sollt ihr wissen: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Ich sage euch: Es wird Sodom erträglicher ergehen an jenem Tage als dieser Stadt.

(Lukas 10, 1-12)

Eins, zwei, drei, vier….(spielerisches Abzählen der Gemeindekirchenratsmitglieder). Nein, 72 seit ihr nicht. Ein Gemeindekirchenrat von Parlamentsgröße hätte wohl auch seine speziel­len Probleme, zu einvernehmlichen Beschlüssen zu kommen. Trotzdem steckt in der zufällig klingenden Zahl eine wichtige Botschaft. Die Weltchronik der Zeit Jesu kannte 72 Völker. Zu jedem von ihnen, zu allen Menschen, soll nach Jesu Willen die Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes gelangen.

Durch unsere Brille hier im Kirchspiel: nicht nur im Magdeburger Süden verpflichtet Jesus Menschen für seine Sache. Er tut es in allen Gemeinden unserer Landeskirche, die heute ihre neu zusammengesetzten Gemeindekirchenräte im Amt begrüßen. Er handelt genauso in jedem Land und Volk auf Gottes Erdboden – bei allen ins Auge fallenden Unter­schieden von Kirchenverfassungen und missionarischer Praxis.

Wir wissen, der Auftraggeber ist Jesus. Aber er wird nicht bei seinem bürgerlichen Namen genannt, sondern als „Herr“ bezeichnet. Das ist eigentlich das Wort der frühen Christinnen und Christen für den Auferstandenen; für den, von dem es im Missionsbefehl am Ende des Matthäusevangeliums heißt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden…“

Für euch, liebe Frauen und Männer im Gemeindekirchenrat gilt dasselbe wie für jeden aktiven Christenmenschen: und wenn uns zehnmal der Pfarrer oder Frau X oder Frau Y für eine besondere Aufgabe in der Gemeinde gewonnen hat, sie haben es getan als Werkzeuge dessen, der gerade auf Sie gewartet hat, der auferstandene Herr, mit dem unser Glaube steht und fällt.

Die Wortwahl unserer Erzählung im griechischen Original legt nahe, dass die Ausge­sandten als Herolde und bevollmächtigte Botschafter des Herrn gelten. Sie sollen seiner eigenen Ankunft dem Weg bereiten. Die Zweierteams erinnern natürlich daran, dass Jesus nicht einsam über Land gezogen ist, sondern seelische Kraft gesucht hat in der Lebensgemeinschaft mit seinen Jüngerinnen und Jüngern. Aber die Teams haben auch mit dem biblischen Zeugenrecht zu tun. Danach hängt die Glaubwürdigkeit einer Beurteilung ab vom Urteil von mindestens zwei Zeuginnen oder Zeugen.

„Die Ernte ist groß. Der Arbeiter aber sind wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte.“ Der sachliche Beginn der Erzählung wird unterbrochen durch einen heftigen emotional wirkenden Ruf Jesu. Wie wir sagen: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Die Ernte ist groß! Schon damals, als in ganz Israel kaum mehr Menschen wohnten als heute in Magdeburg, ist Jesus getrieben von der Gewissheit, dass ungeheuer viele Menschen warten auf ein entscheidendes gutes Wort von unserem Gott; dass sie sich sehnen nach seiner Barmherzigkeit, seiner Treue, seiner Liebe und Gerechtigkeit; danach, dass nichts sie trennen kann von Gottes Liebe. Jesus schafft es nicht allein; er schafft es nicht mit dem ganz kleinen Kreis.

Ja, sagen wir es offen: Jesus macht nicht mit bei der Verklärung der kleinen Zahl, der Mini-Restgemeinde, die wir uns aus eigener seelischer Not manches Mal schönreden. Nein, betet um die Neuen, die neu Gewonnenen, die Zusätzlichen, damit in unserem Kirchspiel auf zeitgemäße Art geschehen kann, was die Erzählung von den 72 beschreibt.

Der erste Satz der Handlungsanweisung an die Zweiergruppen würde in einem modernen Trainingskurs für Personal-Motivierung kaum durchgehen: „Geht los, siehe ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe.“ Entmutigender geht es ja kaum. Und unserer Erfahrung des Jahres 2007 in Magdeburg entspricht es auch nicht. Da würde vielleicht eher passen „Ich schicke euch als die ewig Gestrigen unter die Leute von heute.“ Als Menschen der Gemeinde belächelt oder ignoriert man uns eher, als dass man uns bedrohte.

Aber alles hat seine Zeit. Auch heute, an diesem Tag, gehen Menschen die Wege, die Jesus sie schickt, – und sie fallen dabei um seiner Botschaft willen unter die Räuber. Der Herr nennt den vollen Preis vorher und nicht hinterher. Als Menschen des Friedens unter die Räuber fallen – oder den bitteren Trank der Geringschätzung trinken, das kann zum Merkmal öffentlich gemachten Christenlebens werden.

Die Anweisung zur Ausstattung bzw. Nicht-Ausstattung der Boten klingt überholt, irgendwie nach Bettelmönch. Aber ernsthaft, der Verzicht auf diese drei Dinge sichere Reisekasse, Provianttasche und Sandalen galt als glaubwürdiger Ausdruck freiwillig angenommener Armut – und hat natürlich auf Regeln des christlichen Mönchtums Einfluss gehabt.

Von dieser Mittellosigkeit christlicher Lebensgestaltung sind wir weit entfernt – als Einzelne, wie als Gemeinde und Landeskirche. Aber nehmt das mit aus diesem Einführungsgottesdienst: die Erfüllung des Kernauftrags aktiver Christenmenschen hängt an keinem Einkommen oder Haushaltsplan. Es kostet wirklich nichts, unsere Mitmenschen wissen zu lassen, welche Rolle Jesu Botschaft und er selbst in unseren Leben spielen. Umgekehrt: eine knappe private oder Gemeindekasse ist keine Entschul­digung, der Sendung Jesu untreu zu werden.

„Friede sei diesem Haus.“ Diesen Gruß schreibt Jesus den Jüngern vor, wenn sie das Haus einer Familie betreten. Das klingt wieder zufällig, fast penibel. Aber dieser Gruß hat eine Bedeutung, die wir uns heute wieder freilegen müssen. Friede, Schalom, Eirene bedeutet im biblischen Sprachgebrauch das Gegenteil von „Friede, Freude, Eierku­chen“. Es meint das Geschenk eines rundum gelingenden Lebens in der Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen. Dazu gehören Gebet, Gewaltver­zicht, gerechtes Teilen, Vertrauen zum Leben und viele andere Schätze. Darum gilt der aufgetragene Friedens­gruß auch nicht der Person, die zufällig die Tür aufmacht, sondern der ganzen Haus- bzw. Familiengemeinschaft.

Wenn wir als Gemeindekirchenratsmitglieder oder an anderer Stelle aktive Gemeindeglieder die Wohnungen unserer Nachbarn betreten, haben wir also nicht heftige Kritik an deren Lebenseinstellung im Gepäck, sondern also gute Wünsche und allen Segen, den Gott für diese Familie bereit hält und austeilen will. Und Segen, den wir in seinem Namen austeilen, wirkt und bleibt. Das betont Jesus besonders.

Frühchristliche Wandermissionare, wie auch Paulus einer war, standen mitunter in dem Ruf, recht hartnäckige Gäste zu sein. Es war für die kleinen Hausgemeinden nicht immer leicht, sie bald wieder los zu werden. Solche Erfahrungen mögen hinter den Aufmunterungen Jesu stecken, dass seine Boten sich ohne Gewissensbisse auf die Gastfreundschaft der Menschen mit offenen Herzen verlassen sollen. Dass ein Arbeiter seines Lohnes wert ist, darf natürlich auch die heutige Großorgani­sation und Arbeitgeberin Kirche nicht verdrängen – in erster Linie im Blick auf ihre schlechter bezahlten Berufsgruppen.

Einmal angekommen und aufgenommen haben die Zweierteams zwei Kernaufga­ben: „Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.“ Im kirchlichen Jargon nennen wir das Diakonie hier und Verkün­digung und Seelsorge dort – bei uns oft bis ins Karikaturhafte getrennt. Aber das ist es. Das macht eine Gemeinde zur Gemeinde Jesu. Und vor Ort, in diesem Stadtteil haben wir es leichter, die beiden Kernaufgaben anschaulich beieinander zu halten, als auf den höheren Organisationsebenen unserer Kirche.

Ich denke, uns ist klar, dass die Kranken als vom Schicksal hart Getroffene austauschbar sind gegen andere, die in Armut oder unter die Räuber gefallen sind, hier oder sonstwo in der Welt. Aber Diakonie und Volkssolidarität mögen sich gleichen, was die Pflege­kompetenz angeht. Doch die ehren- und hauptamtliche Diakonie hängt in der Luft, wenn sie nicht getragen wird durch die unüberhörbare Einladung, der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes zu vertrauen – am glaubwürdigsten aus dem Mund ein und desselben Menschen.

Zum Schluss noch dies: Jesus rechnet auch mit Misserfolgen für seine Boten. Wir Minderheitsgemeinden im sog. Kernland der Reformation sind gewiss der Über­zeugung, davon im 20. Jahrhundert eine Extraportion abbekommen zu haben. Welche Konsequenz daraus ziehen? In dieser Frage bleibt Jesus sich immer gleich. Es ist nie und nimmer unsere Aufgabe, die zu verurteilen, die unserer Botschaft mit Desinteresse oder sogar einmal mit offener Feindseligkeit begegnen. Den Staub von den Füßen schütteln und nach der nächsten offenen Tür suchen – das ist die Richtlinie. Und solange menschliches Leben währt, wird Gott nicht aufhören, um die Neinsager zu werben.

Ich denke, das war eine ganze Menge an Einweisung ins Ehrenamt, die Jesus euch übermitteln lässt. Eigentlich gehörte das nicht in eine Predigt, wo jedenfalls in Deutschland nur Einer redet, sondern eher in ein Gemeindekirchenratswochenende.

Aber was ist mit denen, die ihr Ehrenamt mit dem herzlichen Dank der Gemeinde nun abgegeben haben? Mussten diese Ärmsten und ihr anderen alle einfach die Zeit der Predigt absitzen? Natürlich nicht. Diese Postkarte hängt an meinem Schreibtisch. „Gott schickt nicht in Rente“, niemanden von uns, welche Aufgabe in der Gemeinde wir auch ausgefüllt haben.

Die angemessenen Aufgaben in einem Christenleben wechseln, der Ruf Jesu „Folge mir nach“ bleibt bestehen. Für Christenmenschen, die dem Alter ernsthaft Tribut zahlen müssen, kann eines Tages die schlichte Treue zum Gottesdienst zum Auftrag werden, denn Vorbild ist nicht die geringste aller Leistungen – oder auch das regelmäßige Gebet für den weiteren Weg der Gemeinde.

Aber ihr merkt: über solche Sachen soll man keinen Monolog halten, sondern sich aussprechen.

Bleibt mir der herzliche Wunsch für alle, die in diesem Kirchspiel Hand anlegen: dass die Gemeinschaft, die Jesus stiftet, euch trägt – beginnend bei der Zweiten oder dem Zweiten, die mit mir auf dem Wege sind; und dass seine knappe Dienstanweisung in eure Herzen geschrieben sei: Kranke heilen und das nahegekommene Gottesreich unter die Leute bringen.

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