Fastenzeit

Palmarum, 17. Februar 2011

Wenn du aber fastest, dann kämme dich ordentlich und pflege dein Gesicht, damit du den Leuten nicht auffällst mit deinem Fasten.

(Matthäus 6, 17-18)

Karwoche 2011 in Magdeburg. Bis auf den gesetzlichen Feiertag am Freitag eine Woche wie jede andere. Die Überlieferungen unseres Glaubens prägen längst nicht mehr den Alltag. Vielleicht macht ja ein pfiffiger Reporter am Karfreitag wieder mal eine Straßen­umfrage. „Wissen Sie, weshalb heute Feiertag ist?“ Er darf mit den verrücktesten Antworten rechnen. Traditionsabbruch nennen wir das. Osterreisewelle und Schokoladenhasen-Werbung haben natürlich nichts mit Jesus zu tun. Da finden die Leute eher noch eine Verbindung zwischen dem Feiertag 3. Oktober und der deutschen Vereinigung vor 21 Jahren.

Für mich ist die Karwoche ohne öffentliche Spuren hier im sog „Kernland der Refor­mation“ immer noch gewöhnungsbedürftig. Nein, nicht weil es früher besser gewesen wäre. Das nicht. Es war anders, in der prägenden Kindheit und teilweise auch noch im Erwachsenenleben. Meines war immer von den Traditionen und Regeln christlicher Gemeinden durchtränkt – so weit ihr Einfluss reichte.

Dabei gehörte die Karwoche nicht zu meinen Lieblingszeiten im Jahr, weder im erz­katholischen Dorf noch im evangelischen Elternhaus. Im Dorf war Fastenzeit mit strenger Sozialkontrolle. Ein Bonbon in der Hosentasche? Wehe, du hast dich damit erwischen lassen! Der Wirt hatte nur eine Handvoll Religionsverächter als Gäste. Und die Evangelischen hörten von ihrem Pastor zwar, Fasten auf katholische Art, das sei Werkgerechtigkeit. Aber Fleisch war trotzdem tabu.

Vor allem der Andachts- und Gottesdienstplan war picke-packe-voll, Gründonners­tag und Karsamstag eingeschlossen. Unsere kindlichen Seelen fanden Erholung bei allerlei familiären Ostervorbereitungen, die in der Karwoche legal waren – z.B. Eier aus­blasen und für den Osterstrauß bemalen, am Bach Weidenzweige schneiden, Haus­putz im Gemein­dehaus, das uns die Kirche ersetzte, zuschauen beim Osterlamm-Backen. Selbst das Einlegen der Soleier für den väterlichen Gaumen brachte etwas Licht in die kollektive Düsternis. Wie ernst es die Erwachsenen wirklich mit Regeln und Geist der Karwoche meinten, habe ich als Kind nicht erkennen können. Für mich jedenfalls war die Fastenzeit eine mühsame soziale Erfahrung, der ich nicht ausweichen konnte.

In der Karwoche 2011 stimmt beides: in unserem öffentlichen Magdeburger Leben hinterlässt sie keine Spuren. Kein Kneipenwirt und kein Steakhaus hat Umsatzein­brü­che; die gesetzlichen Vorschriften betreffend „Stille Feiertage“ sind mehr oder weniger Makulatur.

Andererseits ist freiwilliges Fasten „in“ – nicht allein als weltlicher Gesundheitstipp, sondern auch als zeitlich befristete Lebensform in der Fasten- bzw. Passionszeit. Wer im Büro der evangelischen Fasten-Initiative „Sieben Wochen ohne“ arbeitet, hat einen sicheren Arbeitsplatz. Jahr für Jahr wird da eine Konsumgewohnheit, eine bestimmte Lebenseinstellung thematisiert und Zehntausende machen mit; verlangen sich etwas ab – „weil sie es sich wert sind.“ Unsere Bischöfin weiß, was sie an „Sieben Wochen Ohne“ hat. Ich habe mir für diese Predigt im Internet noch mal die Land­karte organi­sierter Fastengruppen von „Sieben Wochen Ohne“ angesehen. Unsere Landeskirche, wenn auch nicht die Stadt, scheint ziemlich gut vertreten zu sein.

Also doch „Fastenzeit“ – auch wenn es wohl mehrheitlich jüngere Leute sind, die sich den körperlichen Erfahrungen – von Strapazen will ich eigentlich nicht reden – des Fastens aussetzen. Fasten ist Richtungsbestimmung – überall auf der Welt, wo es praktiziert wird, in allen Kulturen und Religionen. Und selbst das modische Abnehm-Fasten hat ja etwas mit Richtungsbestimmung im Leben zu tun.

Fasten, auch heute, als Lebenserfahrung, als Glaubenserlebnis. Mit unserem Jesus, der sich gern auch an reich gedeckte Tische einladen ließ, müssen wir darüber nicht lang diskutieren. Fasten, er kannte das, und er tat es. Um sich seiner Richtung, seiner Hoffnung, seines Auftrages gewiss zu bleiben. Nach seiner langen Fastenzeit in der Wüste hatte der Versucher keine Chance!

Fasten ja, aber wie? Würde Jesus den Jargon unserer Tage sprechen, dann würde er uns warnen: Fasten ist kein Event; nichts, womit du cool daher kommen und dich ins Gespräch bringen kannst. Fromme Menschen seiner Zeit versuchten das trotzdem. Jesu Zuhörer kannten den Anblick der kleinen und großen Fasten-Promis. Sie sorg­ten für ein mitleiderregendes Aussehen, um so Eindruck zu schinden.

Jesus reagiert mit ein paar Anweisungen zur Körperpflege, auf unsere Gewohnheiten übertragen rät er: Wenn du aber fastest, dann kämme dich ordentlich und pflege dein Gesicht, damit du den Leuten nicht auffällst mit deinem Fasten.

Denn die Suche nach der Richtung, nach dem Auftrag deines Lebens, sie ist allein eine Sache zwischen dir und deinem Gott. Fasten, für Jesus gleicht das dem Beten: Gott nahe kommen, von ihm Lebensmut und Lebensordnung, Lebensfreude erbitten. Ganz unab­gelenkt davon, wie das bei meinen Mitmenschen ankommt. Zu meinen Mitmenschen wird Gott mich schon früh genug zurückschicken, so wahr er uns nicht als Einsiedler geschaffen hat.

„Diskretes“ Fasten – nennen wir es einmal so – führt am direktesten zum Ziel, so verstehe ich das, auch wenn es sich nicht in der Nachbarschaft herum spricht. Irgend­wie passt das zu den verstreuten Vielen, die nun noch eine Woche lang hier und da in unseren Gemeinden zeitgemäße Fastenerfahrungen suchen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen – um in der Bildsprache der Versuchungsgeschichte zu bleiben, wenn nicht auch heute Mitmenschen Gott neu als ihren Wegbegleiter entdecken – und das dann nicht dem Leben unserer Kirche zugute kommt.

So kann ich viel mit diesem Fasten anfangen, das so viel weniger gesetzlich ist als das, nach dem wir Kinder uns zu richten hatten. Ich finde es auch wegweisend, dass unsere heutigen Fasteninitiativen mehr und Komplizierteres im Blick haben, als simple Speiseregeln. Denn auch der Glaube, von dem Jesus lebte, diese Quelle des Lebens, der Liebe und der Gerechtigkeit greift weiter.

Wie weit, das zeigt auch die aktuelle Initiative unserer Mitteldeutschen Kirche „Klimawandel – Lebenswandel“. Dies Einladungsheftchen zum Mitmachen (zeigen) liest sich wie ein zeitgemäßer Fastenkalender. Nicht beschränkt auf sieben Wochen – eher für sieben Jahre. Da finden wir schön alle Bereiche unseres Lebens, unseres Alltags beieinander, die ihr Maß finden müssen, damit Gottes Wille geschieht auf Erden, damit wir unseres Glaubens froh sein können.

Richtungswandel zu Gott, das Ziel des Fastens aller, die dabei auch Gottes Nähe suchen: dieser Richtungswandel schließt unser Wissen, unsere Mitverantwortung für alles ein, was die Welt immer mehr ihrem Schöpfer aus der Hand reißt; alles was Gottes Urteil Lügen straft: „Siehe, es war sehr gut“.

Selbstverständlich wissen wir das nicht erst seit der Katastrophe von Fukushima. Derer hätte wahrlich nicht bedurft. Dieser Alltags-Aktionsplans (zeigen) für moderne Christenmenschen ist vor den Horror-Nachrichten aus Japan geschrieben worden. Jede Zeile, jedes Thema war schon vorher richtig. Hinterher, möchte man sagen, ist es selbstverständlich.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das bedeutet: tue und unterlasse das Deinige, damit die Erde für deinen Nächsten und für dich der Ort des Lebens bleibt – der einzige, der in Frage kommt.

Wer diesen Fastenkalender der EKM durchblättert, findet den eigenen Alltag wieder; angefangen bei der Ernährung, über Einkaufen, Reisen, Heizen, Waschen, Müll vermeiden – die ganze Liste, die wir alle nicht das erste Mal hören. Wieder einmal begreifen wir: alles ist Energie, alles ist Brot, alles ist Klima. Wir begreifen das, wenn wir uns nur ein wenig hineintrauen in das „Karussell des Lebens“, diese atemberau­benden Kreisläufe, die ihrerseits das Lob des Schöpfers singen. Und ähnlich wie die modernen leisen Fasteninitiativen will „Klimawandel – Lebens­wandel“ die Christinnen und Christen“ miteinander verbinden, die aus der Gemein­schaft Mut schöpfen wollen. Dem dienen die Mitmachkarten zu den verschiedenen Lebensgebiete, aus denen dies Heft besteht.

(Wenn Ihr in der Gemeinde… Hilfe anbieten)

„Wenn du aber fastest, dann kämme dich ordentlich und pflege dein Gesicht, damit du den Leuten nicht auffällst mit deinem Fasten.“ Ich staune, wie zeitgemäß diese geist­liche Regel Jesu an seine Zeitgenossen bei mir ankommt: suche deinen Gott und seinen Willen nicht in auffallenden Riten, sondern begib dich als jemand, dessen Herz ich bewegt habe, mitten ins Leben; mitten in die menschliche Gemeinschaft, die zu taumeln scheint.

Tue und unterlasse, was dir möglich ist – im Vertrauen auf Gott, der die ehrlichen Motive unserer Herzen sieht und liebt. Sei ein lebendiger Baustein für eine andere Welt, die immer noch möglich ist – und werde so deines Glaubens froh.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.