Kampagne „Leben statt Pharmaprofit“ des Aktionsbündnisses gegen Aids

3. Sonntag nach Trinitatis, 28. Juni 2009

Lassen Sie uns über Medikamente reden. Nicht über die bei uns zu Hause, z.B. meine täglichen drei; Cosopt und Xalatan gegen den Grünen Star in meinen Augen und Janumet, meine Diabetes-Pillen – richtig teures Zeug. Vorgestern habe ich wieder 243,87 € in der Apotheke gelassen. Aber das meiste erstattet ja die Krankenkasse. Nein, ich will reden als Bote des deutschen „Aktionbündnisses gegen Aids“, getragen u.a. von der Aktion „Brot für die Welt“ und dem katholischen Schwester­werk Misereor. Beide wenden sich in diesen Monaten an ihre Gemeinden. Beide werben um die guten Namen der Christenmenschen; um ein kleines Werk der Gerechtigkeit, das mit den sonstigen Spendenaufrufen nichts zu tun hat. Davon gleich mehr.

Aids ist vor allem eine Krankheit der Armen – das gilt, obwohl gerade jetzt in unserer Stadt eine neue Serie von warnenden Großplakaten hängt, psychologisch gut gemacht, wie ich finde, weil sie das Lebensgefühl derer, die vor allem gefährdet sind, gut treffen. Dennoch, das durchschnittliche Opfer von Aids in diesen Jahren ist arm, nicht drogen­abhängig, oft weiblich, heterosexuell – also auf das andere Geschlecht geprägt – und eben in Johannesburg, Nairobi, Bombay, Rio oder Kiew zu Hause – und nicht bei uns an der Elbe.

Wir kennen den bitteren Satz „Weil du arm bist, musst du früher sterben.“ Hätte es für ihn eines Beweises bedurft, das Schicksal der HIV-positiven und an Aids erkrank­ten Mitmenschen in der armen Welt liefert ihn, buchstäblich Tag für Tag. Sie werden wissen, dass Aids nicht heilbar ist, dass es z.B. keine vorbeugende Impfung gibt.

Aber das Leben mit oder ohne die Medikamente, die helfen, die Infektion einzudäm­men, macht einen Unterschied wie Tag und Nacht – an Lebenszeit, an Leistungs­fähigkeit, an Lebensfreude, an der Möglichkeit, für die Familie zu sorgen.

Ich habe genug Begegnungen mit Menschen gehabt, die seit langen Jahren mit dem Virus leben, um ohne Zweifel sagen zu können: ein lohnendes, ein erfülltes, ein segensreiches Leben mit Aids ist möglich. Viele Menschen vollbringen diese Leistung. Sie können das, weil sie Zugang haben zu den Medikamenten, die dafür unentbehrlich sind.

Das ist der springende Punkt: da wo ich lebe, an einer indischen Überlandstraße, im Arme-Leute-Viertel einer Stadt in der Ukraine, am Rand einer Großstadt in Afrika – da muss es, wenn nötig, Aids-Medikamente geben; und die Leute oder wenigstens ihre Regierung müssen sie bezahlen können. Heute ist es wie ein grausamer Abzähl­reim. Ene-mene-muh-und-weg-bist-du. Zwei Drittel der vielen Millionen Kinder Gottes, die Aids-Medikamente brauchen, gehen immer noch leer aus – obwohl die Forderung seit Jahren im Raum steht: wer infiziert ist, muss Medikamente bekom­men können, wo immer er oder sie leben. Millionen Mütter und Väter in Afrika hätten ihre Kinder selbst aufziehen können, statt die Last auf ihren Sterbebetten den überlasteten und armen Großmüttern aufzubürden. Kirchen, Schulen, Entwicklungs­organisationen, Gesundheitsdienste hätten nicht abertausende unentbehrlicher Fach­kräfte verloren.

Und dennoch: es war schon ein Erfolg, ein Erfolg, an dem auch unsere Kirche Anteil hatte, dass immerhin ein Drittel der Patientinnen und Patienten in der armen Welt inzwischen Aids-Medikamente bekommt. Auch bei dieser Minderheit sprechen wir über Millionen Menschen. Voraussetzung für den Teilerfolg war vor allem die Pro­duk­tion von inhaltsgleichen und darum wirkungsgleichen Nachahmer-Medikamen­ten, sog Generica. Wir kennen sie ja aus der Fernsehwerbung. Indien, die kommende wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Großmacht mit dem Heer von Ar­men ist der wichtigste Standort für die Produktion von Aids-Generica für die Armen in Afrika und Asien. Wichtig war, dass die jeweiligen Inhaber der Patente, die Fir­men, die die Medikamente ursprünglich entwickelt hatten, diese Nachahmerpro­duk­te toleriert haben. Sie gelangten ja auch nicht auf die lukrativen Arzneimittelmärkte in unserem Teil der Welt. Vergleichsweise billige Aidsmedikamente wie in Südafrika gibt es in unseren Apotheken nicht zu kaufen.

Diese Sonderregelung – erschwingliche Aidsmedikamente für die Armen im Süden der Welt – steht jetzt möglicherweise vor dem Fall. Unsere Kirche ist deshalb alar­miert. Deshalb nutze ich diese Redezeit für die Sache. Nicht nur, weil da Millionen Menschen nicht im Stich gelassen werden dürfen. Sondern auch, weil Aids so ein großes Lernfeld des Glaubens geworden ist, für uns selbst, gewiss – aber auch für unsere Glaubens­geschwister in Afrika, dem christlichen Kontinent unserer Zeit, wenn es so etwas überhaupt gibt.

Ich erinnere mich der ersten Begegnungen mit Opfern der slim disease“, der Abmage­rungskrankheit, wie man Aids dort nannte, und ich erinnere mich der afrikanischen Predigern, die darüber in Hüttenkirchen und Backstein-Kathedralen vom Leder zogen. Eine halbe Generation ist das schon her. Und was ich hörte, fand ich schlimm. Gerichts- und Drohpredigt, völlig unverblümt. Die Kranken, egal ob Vergewaltigungsopfer oder Vergewaltiger; ob Opfer von Hygienemängeln in Krankenhäusern oder von Leichtsinn, alle empfingen sie angeblich, was ihre Taten wert waren. Ich bin mir sicher: Jesus hätte sich geschüttelt. Abschreckung mit geistlichen Mitteln, sonst nichts!

Lieblose und zugleich hilflose Gerichtspredigt – sie wird in Afrika nicht ausgestorben sein. Aber den Kurs, die Vision der Kirchen bestimmt schon lange eine andere Hal­tung. „Die Kirche hat Aids“ heißt die Kernbotschaft. Nicht nur, weil längst hundert­tausende engagierter Christinnen und Christen, Bischöfe eingeschlossen, an der Seuche gestorben sind. Nein, sondern tiefer, weil alle körperlichen und seelischen Schwächen, die Men­schen befallen können, Teil unseres Lebens, Teil unseres Glau­bens sind. Weil Jesus ohne sein Mitgefühl mit menschlichem Leiden überhaupt nicht zu erkennen ist. Eine Kirche ohne handlungsbereites Mitgefühl verdient diesen Namen nicht.

An Jesus orientiertes Mitgefühl sinnt auf Hilfe, auf tatsächliche Besserung. Darum sind Afrikas Mehrzweckkirchen längst zu Schulungszentren für das Leben mit Aids gewor­den – vor allem für eine Lebenspraxis, die vor Aids bewahrt. Darum z.B. dies Poster aus afrikanischer Gemeindearbeit.

Aids ist eine alles verschlingende Flut. Das Schiff – Sinnbild für die bisherige Gesell­schafts­ordnung – sinkt. Und nun: sieh zu, dass du in ein Rettungsboot kommst; in eines von recht verschiedenen Booten: eines heißt „Partnerschaftliche Treue“, ein anderes „Sexuelle Absti­nenz“, aber ein drittes heißt klipp und klar „Kondom“. Die Leute hören diese unmiss­ver­ständliche Botschaft in der Gemeinde – und wie ich bezeugen kann, auch in katho­lischen Gemeinden.

„Die Kirche hat Aids“ und steht dazu. Deshalb drängt sie auch die Regierungen, für die Medikamentenversorgung aller Kranken einzustehen. Deshalb üben wir ökume­nische Partnerschaft, u.a. mit den Partnerkirchen unserer EKM in Tanzania, wenn wir die Kampagne „Keine Patente auf Aids-Medikamente“ in die Öffentlichkeit und auch in diesen Gottesdienst bringen.

Denn dies ist die Gefahr der Stunde. Drei große Pharmakonzerne klagen derzeit vor indischen Gerichten auf Patentschutz für ihre unentbehrlichen Medikamente. Haben sie Erfolg, steht die Versorgung von Millionen Aidskranker in der armen Welt auf dem Spiel. Denn die Generica-Produktion müsste größtenteils eingestellt werden. Was übrig bliebe, wäre sozusagen eine Apotheke nur für Leute, die reich genug sind.

Die Medikamente, um die gestritten wird, sind unentbehrlich. Denn sie gehören zur sog. zweiten Generation, mit weniger heftigen Nebenwirkungen und weniger Resisten­zen, wie sie sich bei den Medikamenten der ersten Generation immer mehr ein­stellen. Patentrecht, das Recht aus dem eigenen geistigen Eigentum größtmöglichen Gewinn zu schlagen hier – das Recht auf Leben, das selbstverständlichste aller Men­schenrechte dort: das ist keine Alternative, die man mit kühlem Kopf so oder so ab­wägen kann. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon,“ sagt Jesus zu so etwas.

Deshalb unterschreiben zehntausende von Christenmenschen und andere Mitbürger mit dem Herzen auf dem rechten Fleck in diesen Wochen solche Postkarten an die drei großen Unternehmen mit der Aufforderung, ihre Patentanträge in Indien zurückzuzie­hen. Sollen sie ihr Geld bei uns, in Nordamerika oder Japan verdienen. Aber die Op­fer dieser Armutskrankheit in Afrika und Indien brauchen bezahlbare Medikamente!

Sind wir mit dem, was ich weitergesagt habe vom Kampf der Ökumene gegen Aids, auf dem Weg Jesu? Er konnte uns den Umgang mit Aidskranken ja nicht vormachen. Aber den mit Leprakranken, den sogenannten Aussätzigen. Ihre strikte Isolierung war gleich­sam eine Notwehr der Gesellschaft. Aber Jesus setzte auf Integration. In Gottes Vollmacht wies er die Geheilten an: „Geh und zeige dich dem Priester.“ Das Zeugnis des geistlichen Amtsarztes soll die Tür öffnen, zurück ins volle Leben. Das ist eine Rich­tungsangabe, für uns.

In unserem Fall geht es um Recht bzw. um den Verzicht auf maximale Ausnutzung von Recht, damit Menschen leben können. Gut angewandtes Recht ist so wichtig wie Brot. Täglich Brot, was ist das? fragt Martin Luther im Kleinen Katechismus. Die Ant­wort: „Alles, was zu des Leibes Nahrung und Notdurft gehört“. Herrlich alter­tüm­lich, aber sonnenklar! Aidsmedikamente gehören dazu.

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