Pfingsten – Ein Überfall

Pfingsten, 31. Mai 2009

Wir hören sie – jeder in seiner Sprache – von den großen Taten Gottes reden“

Apostelgeschichte 2,11b

Ein Wunschtraum für alle, die im Namen Jesu zu ihren Mitmenschen sprechen: Verstan­den werden! Nicht hängen bleiben in dem Gestrüpp von Hindernissen, die sich zwi­schen Menschen aufhäufen können: angefangen beim simpelsten Hindernis: spontane Abneigung. Diesen Kerl mag ich einfach nicht! Wann immer mir in meinem Kirchen­leben dies Etikett aufgepappt worden ist, hat es mich ratlos gemacht.

Und danach folgt noch eine lange Liste anderer Hindernisse: Trennendes zwischen Jung und Alt, zwischen Hartz IV und sicherem Einkommen, zwischen Religionslos und Kirchlich, immer noch zwischen Wessis und Ossis. Und dann die dickeren Brocken: Deutsch und Fremd, Weiß und Schwarz; Christ und Muslim… Die wohl­tuende Entdeckung: da hat mich einer verstanden – obwohl er nicht zu meinem engsten Lebenskreis gehört – sie scheint eher die erfreuliche Ausnahme zu sein als eine regelmäßige Alltagserfahrung. Für uns alle – und eben auch für christliche Prediger.

Verstanden werden, das große Ziel und zugleich der krasse Schwachpunkt unserer Kirche: den Jesus-Leuten scheint es am Pfingstmorgen darum überhaupt nicht gegangen zu sein. Sie wälzen keine Konzepte des Gemeindeaufbaus, geschweige denn der Mis­sion. Sie halten sich aneinander fest. Ihre Blickrichtung geht in die Vergangenheit. Ihre Vergangenheit mit Jesus. Ihre seelischen Kräfte reichen gerade, um zuverlässig für einander da zu sein. Ob sie noch Grund haben, die Autoritäten von Jerusalem zu fürcht­en – oder ob die Jesus abgehakt haben und seine Leute sich selbst überlassen? Ich weiß es nicht.

Pfingsten ist kein Konzept, Pfingsten ist ein Überfall. Wind und Feuer, die beiden Naturgewalten, die seit jeher bei den Gottesbegegnungen Israels zu den Begleiter­schei­nungen gehören. Und wir modernen Menschen mit unseren notdürftigen Sicherungs­systemen – wir tun ja nur so, als wäre das alles nur ein bisschen Schall und Rauch. Pfingsten ist ein Überfall, oder sagen wir: eine Entführung. Gott, allmächtig, wie er ist, greift sich rückwärts gewandte Menschen und entführt sie, ehe sie sich´s versehen, in seine Zukunft. Von Gott entführt werden, um seiner Zukunft zu dienen, das passiert mit den zurück gebliebenen Jesus-Leuten; das nennen wir die Ausgießung des Heiligen Geistes.

Dieser Heilige Geist macht beredt. Ein ziemliches Durcheinander, nicht ordentlich nach Rednerliste einer nach dem anderen. Allen geht der Mund über, weil das Herz voll ist, all die Zeit voll war. Aber aus Jesus-Erinnerung wird jetzt augenblicklich Jesus-Botschaft. Und die kann in diesen Momenten nicht länger warten. Trotzdem: sie werden im Durcheinander verstanden – von einer bunt zusammengewürfelten Zuhörerschaft. Was diese Menschen eint, ist wohl das Bewusstsein: Jerusalem ist ein Heiliger Ort. Da musst du immer mit Allem rechnen. Was sie trennt, ist das Sprachen­gewirr rund ums Mittel­meer. Nach meiner Lebenserfahrung nicht die höchste Barriere, die Menschen voneinander trennen kann.

Pfingsten, ein Überfall; aber ein angekündigter Überfall. Menschen, die sich Gott nähern, müssen mit diesem Überfall rechnen. Wenn Gott es will, können wir die Lippen noch so sehr zusammen pressen. Gott bringt uns zum Reden. Mose wollte partout nicht, „kann ich nicht, will ich nicht“; Jeremia und x andere Prophetinnen und Propheten haben sich für rhetorische Nieten gehalten – und mussten doch. Die vergleichsweise ungebil­deten Fischer vom See Genezareth werden von Jesus selbst auf schwere Auseinander­setzungen vorbereitet, bei denen es um Kopf und Kragen gehen kann. Sie werden euch vor die Tribunale stellen. Ihr werdet reden müssen. Aber keine Angst, der Heilige Geist wird euch eingeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr Stotterer, sondern er!

Sprache, wie wir sie sprechen und erleben, sie gibt uns Heimat in der Welt – sie ist der Weg Gottes hinein in unser Leben. Zu den glücklichsten Augenblicken des Lebens gehört es, wenn Kinder uns ihre ersten Worte schenken. Kaum je hören wir aufmerksa­mer zu, als wenn wir damit rechnen müssen: es sind die letzten Worte, die ein Mensch uns noch sagen kann. Dazwischen liegt unser Leben mit der Sprache, unser Leben durch die Sprache. Grausam das Experiment eines mittelalterlichen Herrschers, der Kinder aus Neugier ohne ein einziges Wort aufziehen ließ. Er wollte wissen, welche Sprache sie entwickeln würden. Sie gingen elend zugrunde.

Der Gott des Lebens will uns zum Reden bringen – wie wir unsere Kinder; mit dersel­ben Liebe, mit derselben Ungeduld. Pfingsten, noch ein Vergleich, das ist der Moment, an dem der Knoten platzt, an dem der maulfaule kleine Enkel – ich kenne so etwas – auf einmal anfängt zu reden wie ein Wasserfall.

Eine christliche Gemeinde, die das Reden vom Glauben dem Pastor überlässt, ist noch nicht verloren. Aber sie ist, im Bild der Pfingstgeschichte gesprochen, eine Gemeinde vor neun Uhr morgens, der Uhrzeit, als den Jesus-Leuten auf einmal der Mund aufging. Der Riesennachteil so einer Gemeinde der stummen Jesus-Leute: auch im besten Fall kann der Pastor nur eine Sprache, seine. Und versuchte ich´s auch auf Englisch, Französisch oder Spanisch: es bliebe meine eine und einzige Sprache. Und die meisten Menschen könnten nix damit anfangen. Viele verschiedene Menschenherzen brauchen viele verschiedene Sprachen. Rechne damit, dass es Menschen gibt, die nur deine Sprache verstehen; die darauf angewiesen sind, dass du den Mund aufmachst.

Das Wunder des Verstehens hat natürlich zweierlei Schauplätze: die Herzen derer, die auf einmal reden – aber, nicht weniger wichtig, die Herzen derer, die verstehen. Das eine nicht ohne das andere, wenn die Botschaft unter das Volk Gottes soll. Die jüdischen Pilger, die römischen Verwaltungsangestellten, die in Jerusalem hängen­gebliebenen Ausländer, sie alle können nicht viel tun für ihr persönliches Pfingstwun­der. Sie sind einfach da und setzen sich dem Geschehen aus – und erleben dabei ja auch nicht alle dasselbe. Die einen begreifen, dass hier Gott zu ihnen spricht durch Menschenmund. Die anderen denken an das Gelalle von Saufköppen.

Was ist uns geblieben von Pfingsten? Ein langes Wochenende? Ein nervöses Kribbeln bei der Vorstellung, in unserer gesitteten Gemeinde könnte von jetzt auf gleich die Post abgehen? Vielleicht erinnern wir uns ja auch, schon mal etwas vom rasanten Wachstum sogenannter Pfingstkirchen in anderen Erdteilen gehört zu haben. Und dass sogar manche freien Gemeinden in Deutschland aus allen Nähten platzen.

Wie dem auch sei – ohne den immer neuen Zündfunken des Heiligen Geistes sind christliche Gemeinden zum Absterben verurteilt. Wir machen da keine Ausnahme. Es geht nicht ohne. Und Heiligen Geist kann man nicht bei Quelle bestellen. Er ist ja keines Menschen Werk.

Haben wir Anzeichen dafür, dass es uns an Gottes Geist fehlt – ganz einfach, weil unsere Gemeinde so gar nichts Magnetisches hat, dann bleibt nur die Methode Jerusalem: das Herz auf Jesus ausrichten und warten. Wohl gemerkt: nicht geistliche Insolvenz anmelden – und der Letzte gibt die Altarbibel beim Bischof ab. Nein: Jesus im Gebet beim Wort nehmen, so lange wie nötig:

„Du bist bei uns im Wort mit deinem Versprechen. Ihr seid nicht allein in den Verstric­kungen eures Lebens. Meinen Geist, den Tröster, will ich euch senden, der soll euch leiten.“ Nun gib uns, was du versprochen hast! Bitten um den Zündfunken Jesu. In jedem Gottesdienst. In jedem persönlichen Gebet. Und zugleich wissen, wenigstens ahnen, dass Jesu Zündfunke eine Gemeinde ganz gewaltig durcheinander wirbeln kann.

Wer auch nur ein bisschen Anteil nimmt am Leben der Weltkirche, der weiß, dass es zur selben Zeit immer alle Grundtypen von Jesus-Gemeinden gibt: die von vor neun Uhr morgens, sie sind da, aber sie sind nicht handlungsfähig, weil der Zündfunke fehlt; die Punkt Neun-Uhr-Gemeinden, die zu bestimmten Stunden ihrer Geschichte neu vom Geist Jesu ergriffen werden – in Aufbrüchen, die viele Menschen aufwüh­len und mitreißen, andere freilich mit dem Kopf schütteln lassen. Und dann gibt es die Kirchen und Gemeinden, die das Vorrecht haben, noch von Ausgießungen des Geistes zehren zu können – so wie Bauern, die auf Vulkanerde die denkbar besten Ernten erzielen.

Seit ich hier im Schatten des Magdeburger Doms lebe, höre ich oft, hier sei das Kern­land der Reformation, und dann folgt – oder bilde ich mir das nur ein? – ein ganz leiser Seufzer. Wir machen uns ja nichts vor. Reformation: vor 500 Jahren zweifellos einer der großen Pfingstmorgen der Kirchengeschichte – mit allem drum und dran. Gemeinsam auch dies, dass es bei aller Aufregung um Jesus ging, so wie in der Rede, mit der Petrus am ersten Pfingstmorgen die Leute packt.

Aber heute: ist da wirklich noch genug Lava-Erde von diesem geistlichen Vulkanaus­bruch? Das möchte ich mir nicht schön reden müssen. Sondern mich Jesu Zusagen anvertrauen – so wie es die Frauen und Männer in Jerusalem taten an jenem Morgen – vor neun Uhr.

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