Salz der Erde, Licht der Welt

8. Sonntag nach Trinitatis, 1. August 2004


Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

(Matthäus 5, 13-16)

„Wenn das Salz nicht mehr salzt, muss man es wegschütten.“ Salz nicht mehr salzen? Das geht doch gar nicht. Salz bleibt immer Salz. Gegner der frühen christlichen Gemeinde haben Jesus vorgehalten, er würde Unsinn erzählen. Soviel ist richtig: abgesehen von moderner chemischer Behandlung bleibt Salz immer Salz. Aber es kann so verdrecken, nass werden oder was sonst, dass es niemand mehr in seine Speise tun würde.

So wie die Botschaft Jesu von der Liebe Gottes. Nichts kann uns von ihr trennen. Sie hat Bestand, auch heute. Aber sie kann von uns Christinnen und Christen selbst bis zur Unkenntlichkeit versteckt, verändert, verschwiegen werden, dass die Gemeinde darüber überflüssig wird. Millionen unserer Mitmenschen sind dieser Meinung, ohne diese Sätze Jesu zu kennen.

Aber am Anfang steht nicht die Warnung, sondern das Versprechen. „Ihr seid das Salz der Erde.“ Ihr, meine Jüngerinnen und Jünger, ihr seid für Gott und für eure Welt ganz wichtig und unentbehrlich. Wie das Salz. Um im Bild zu bleiben: Salz macht die Suppe nicht nur schmackhafter. Salz ist lebensnotwendig. Obwohl es keine Kalorien hat. Obwohl es nur einen winzigen Teil der Nahrung ausmacht.

Ein Versprechen, eine Standortbestimmung, die besonders uns Christinnen und Christen in der Minderheit gut tut. Salz der Erde, das ist geradezu das Gegenteil von einer Kir­che, die sich einbildet, zur Herrschaft im Volk berufen zu sein. Staatskir­chen, Gottes­staaten waren regelmäßig ein Unglück für die Menschen und für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums. Das lehrt die Kirchengeschichte. Das zeigt der Blick auf Gottes­staaten anderen Glaubens in unserer Zeit.

Aber von den wenigen Löffelchen Salz geht eine große Wirkung aus. Das ist ihre Bestimmung. Und wenn es nicht so ist, dann ist etwas faul. Eine christliche Gemein­de in kleiner Zahl ist kein Naturschutzgebiet für eine aussterbende Art – in Ruhe gelassen und mit einigen Schutzrechten. Sich damit zur Ruhe zu setzen, das ist genau die Falle, vor der Jesus warnt.

Den Alltag der Menschen, den Alltag der Schöpfung rund um diesen Kirchturm seelisch gesünder zu machen – so wie Salz unsere Nahrung – das ist Aufgabe auch der kleinsten Gemeinde. Den Menschen zeigen, dass Gott für sie da ist im sorgen­vollen Alltag; dass er uns hilft, füreinander da zu sein; dass wir Irrwege verlassen können, jederzeit; dass wir nicht jeder verrückten Glücksbotschaft hinterher laufen müssen; dass wichtiger ist, was wir vor Gott sind, als was wir vor den Menschen haben. Diese Botschaften im Dorf zu streuen, das können wir nicht der Pfarrerin überlassen. Dazu braucht es in jeder Stra­ße ein paar Menschen, die sich entscheiden, danach zu leben. Leben, nicht unbedingt predigen. Wie gesagt: Salz heutzutage ein unauffälliger Pfennigsartikel, aber immer noch lebensnotwendig.

Da fällt die Sache mit dem Licht schon mehr ins Auge. So sehr, dass die Kritiker der ersten Gemeinden meinten, dies Jesuswort sei eine Aufforderung zur Angeberei. Hey, hier sind wir. Sind wir nicht toll? Aber so ist´s ja nicht gemeint. Keine Leucht­reklame für die Kirche. Sondern das Leuchtfeuer Gottes, das in der Dunkelheit vor Unheil bewahrt.

Ich denke, wir verstehen das Bild vom Salz heutzutage eher als das vom Licht. Unsere Kerzen sind die vom Weihnachtsbaum oder von der Geburtstagstorte. Die Kerze, die in echter Dunkelheit hilft, gehört in unserer Lichterwelt kaum noch zur Lebenserfahrung. Wohl weil es so selten vorkommt, erinnere ich mich heute noch an einen totalen einstündigen Stromausfall vor Jahrzehnten. Da war´s auf einmal mitten im Ruhrgebiet wirklich zappenduster. Für unsere Kinder das erste Mal in ihrem Leben. Es dauerte etwas, bis die erste Kerze brannte. Und sie veränderte augenblicklich die Gefühle. Weil wir nicht überall Kerzen anzünden konnten, mussten wir zusammen­rücken. Wie gesagt, ich habe es nicht vergessen und unsere längst erwachsenen Kinder auch nicht. Heute weiß ich mindestens, wo in unserer Wohnung Kerzen und Streichhölzer liegen. Ich würde sie auch im Dunkeln finden.

Sagt das Bild vom Salz, man soll sozusagen schmecken, dass ihr da seid, ihr Chri­sten­menschen in Niederndodeleben, dann verlangt das Bild von der Kerze, dass man uns weithin sehen soll. Niemand wird behaupten, das wäre ja durch unsere beiden Kirchtürme garantiert. So etwas gab es sowieso nicht, als Jesus zu den Menschen sprach. Außerdem locken sie, wie es aussieht, kaum jemanden hinter dem Ofen hervor.

Jesus lässt nicht mit sich handeln, was die Pflicht der christlichen Gemeinde zur Sichtbarkeit angeht – durch ihre Taten, nicht durch ihre schönen alten Kirchtürme. Wer in stockdunkler Nacht kein Licht anzündet, obwohl er alles dafür zur Hand tat, dem fehlt es einfach an Verantwortungsbewusstsein. Dafür sorgen, dass die Menschen sich nicht die Knochen brechen, das ist der erste Schritt der Vorsorge.

Was soll dabei rauskommen, wenn wir also unser Licht nicht unter den Scheffel stellen? Jesus scheut sich nicht zu sagen: „dass die Menschen eure guten Werke sehen.“ Martin Luther müsste es da eigentlich kalt den Rücken herunterlaufen. Wenn der etwas gebetsmühlenartig wiederholt hat, dann doch, dass gute Werke unser Leben nicht ans Ziel bringen. Aber Luther hat nicht protestiert. Er hat weiter gelesen. Die „guten Werke“ sind Mittel zum Zweck, wie die brennende Kerze. Niemand wird der Kerze Loblieder singen, weil sie tut, wozu sie da ist. Aber die Menschen werden sich des Lichtes freuen, sich in seinem Schein geborgen fühlen.

Der Teil unserer Taten, die dem Willen Gottes entsprechen, sind wie die brennende Kerze, sichtbar, nötig, und doch bleibt die Kerze das Hilfsmittel. Das Licht ist das eigentliche Geschenk. So tun wir gut daran, den ganzen Satz Jesu im Sinn zu haben: „..damit die Menschen eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel prei­sen.“ Christenmenschen und ihre Gemeinden sind dazu bestimmt, Lichter zu sein, durch deren Schein andere Menschen den Gott an ihrer Seite entdecken können.

Nicht wenige Christinnen stoßen sich heute daran, dass Jesus die Nähe dieses Gottes zu uns mit dem Wort Vater ausdrückt – und eben nicht durch das Wort Mutter, die doch vielen Menschen lebenslang näher steht. Mir sind die wenigen mütterlichen Gottes­gleichnisse in der Bibel auch besonders kostbar. Aber was ist das für ein Vater? Ein ganz und gar unpatriarchalischer. Ein Vater, der angesichts seines verloren geglaubten jüngeren Sohnes so gar nicht auf seine Würde und Ehre achtet. Ein Gott, von dem Jesus meint, er dürfte ihn auch mit Papa anreden. Manchmal tut er das ja.

Zu diesem Gott Vertrauen wecken, Menschen helfen, diesen Gott sogar lieben zu lernen, das ist Aufgabe und Daseinsberechtigung der christlichen Gemeinde. Und da genügt es nicht, über Gott zu reden. Das tut unsere Kirche ohne Unterlass, aus mehr feierlich ordinierten Mündern denn je, in Deutschland zu immer weniger Menschen.

Aber wenn wir denn einmal von der Klugheit der Welt lernen wollen: selten sind es Worte, die unser Leben wirklich in Bewegung bringen. Viel häufiger wirkt weiter, was wir miterleben, was wir mit eigenen Augen sehen. Uns selber geht es so mit den Men­schen, die für unser Leben wichtig waren. Wie sie sich verhielten, was sie taten und unterließen – das umschließt viel mehr als ihre Worte, an die wir uns erinnern.

Wenn wir auf den Kanzeln reden, von Versöhnung, Vergebung, Liebe, Gerechtigkeit Gottes, ist das schön und gut – und auch ganz im Sinn und Auftrag Jesu. Aber was davon in unserem Christenleben ankommt, darüber geben unsere Taten Auskunft. Und die Menschen, um die Gott wirbt, nehmen sich die Freiheit, sich daran ihr Urteil zu bilden. Und da können wortreiche Prediger sehr schlecht aussehen und wortkarge Christenmenschen ein Segen für andere sein.

Aber für uns alle gilt: die christliche Gemeinde hat kein Recht, sich im Mauseloch zu verkriechen. Man muss uns schmecken, man muss uns sehen. Überall da, wo Chri­stinnen und Christen leben. Wir sind für Niederndodeleben zuständig. Auch für die große Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nie mit Glauben und Gemeinde zu tun hatten. Gott hat nicht aufgehört, wird nicht aufhören, um sie zu werben. Darum sollten wir den Salzstreuer und die brennende Kerze als Erinnerungsposten des Glaubens im Sinn behalten.

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