Sotschi: Leerer Tribünenplatz

 

 Tag Eins der Spiele des größten Sportlers unter den Völkerlenkern auf Erden; jedenfalls, wenn es nach der Bilderwelt geht, die er zu seinem Ruhm fortlaufend produzieren lässt. Tag Eins der Wladimir-Putin-Winterspiele von Sotschi am subtropischen Kaukasusabhang.

 Die Vierbuchstaben-Zeitung wird zwei Wochen lang keine Schlagzeilen-Not leiden. Und die drei stündlichen Sportminuten in meinem Radio müssen nicht mehr mit Trainer-Hick-Hack des FC Sowieso aus der dritten Liga gestopft werden.

 Olympia ist wie Weihnachten: es ist nicht zu überhören! Aber statt „Kling Glöckchen Klingelingeling“ merkt man, dass wieder Olympiazeit ist, an solchen Meldungen: „Die USA haben bei den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi die erste Goldmedaille gewonnen.“

 So, haben sie? Wie hat der Herr Obama das denn gemacht? Mit seinen Ledernacken doch wohl kaum. Das verbietet doch dieser olympische Friede, den die alten Griechen mal erfunden haben sollen. War´s vielleicht irgend ein Börsentrick? Schließlich geht es um Gold. Aber wahrscheinlich hat das Weiße Haus einfach einen 50-Millionen-Scheck auf den Tisch gelegt. Bei dem Schuldenstand, den sich die USA leisten, kommt es darauf nun auch nicht mehr an. Und die erste Goldmedaille findet schließlich mehr Beachtung als irgend so ein Ferner-liefen-Wettbewerb.

  Natürlich haben nicht die United States of America die erste Goldmedaille gewonnen, sondern ein junger Mann mit US-Pass. Aber die politische Großmannssucht hat nun auch die Winterolympiaden voll im Griff. Wie die Chinesen im Sommer geprotzt haben, da kann der Herr über Russlands Öl und Gas allemal dagegen halten. Und auch eine Menge meiner lieben Mitbürger werden jetzt tagtäglich erfreut oder eher nervös auf die Medaillenspiegel blicken, von manchen Zeitungsredaktionen kundenfreundlich gleich auf die Titelseiten gerückt.

 Auch der Sport auf Eis und Schnee, zur Not auf Kunstschnee und Kunsteis, hat seine besten Aktiven längst zu Erfüllungsgehilfen für die Balzrituale einer Handvoll Staatslenker degradiert. Ein Trupp Pfauenhähne ist nichts dagegen. Die Medaillenbeschaffer bekommen im Gegenzug einen kräftigen Schluck persönliche Genugtuung und die Chance, kürzer oder länger von ihren Fähigkeiten zu leben. Und wir Deutschen sollen uns irgendwie gut fühlen, weil wir laut Medaillenspiegel gerade zwei Bronzemedaillen vor den Franzosen liegen. Aber wehe, da geht was schief!

 Die Olympischen Spiele der Antike haben sich erledigt, weil sie – zu ihrer Zeit – Maß und Sinn verloren hatten. Der umweltfressende 50 Milliarden-Event von Sotschi ist ein modernes Musterbeispiel olympischer Dekadenz. Brasilianer, Philippinas, kenianische Massai werden Spiele à la Sotschi aus naheliegenden Gründen ohnehin nicht vermissen.

 Ich selbst muss da schon eine kräftige Portion Kummer verdauen. Meine erste Winterolympiade war die von Oslo 1952, eingebettet in den natürlichen norwegischen Winter. Und mit ein paar richtigen Helden für einen etwas ängstlichen Zwölfjährigen. Andreas „Anderl“ Ostler, ein Bär von Mann steuerte seinen Zweier-Bob zum Sieg. Und sein Bremser Lorenz Nieberl war von gleichem Kaliber. Klar, das bleibt auch die erste registrierte Goldmedaille auf dem Konto der inzwischen Geschichte gewordenen alten Bundesrepublik. Aber meine kindliche Verehrung galt Anderl, und nicht Adenauer.

 So wünsche ich denn den deutschen Profisportlern beiderlei Geschlechtes, die in Sotschi ihr Bestes versuchen, alles Gute und schöne persönliche Erfolge. Aber zum ersten Mal seit Oslo 1952 bin ich mir ziemlich sicher: mein Tribünenplatz vor den Fernseher bleibt weitgehend leer.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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