Atomwaffen: Wortspiele um Tod und Leben

Seit reichlich 30 Jahren hängt das Tuch inzwischen in unserer Wohnung: ein langsam verbleichender lila Druck auf hellem Stoff, mitgebracht vom Evangelischen Kirchentag 1983. „Umkehr zum Leben“, ist da zu lesen, „die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen.“ Dazu passend reckt sich eine große Hand aus dem Kirchengebäude heraus und wehrt eine Atombombe ab.
1983: der Anti-Atomwaffen-Kirchentag von Hannover, liegt ungefähr auf halber Wegstrecke zwischen heute und den Schreckenstagen von Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945. Mehr als 100.000 Menschen sind damals, vor nunmehr 70 Jahren, bei den beiden ersten Atombombenwürfen auf menschliche Gemeinschaften unmittelbar umgekommen; ungefähr noch einmal so viele zählen zu den späteren und späten Opfern – bis in unsere Tage.

1983 haben Christinnen und Christen von ihrer Kirche dies „Nein ohne jedes Ja“ gefordert. Die atomare West-Ost-Konfrontation war damals, wie wir Älteren wissen, brandgefährlich und bestimmte die Gefühle und den Bürgerwillen von Millionen. Der sog NATO-Doppelbeschluss von 1979 und die spiegelbildliche Politik der Sowjetunion schufen ein Klima, in dem wir dazu angehalten wurden, unsere Zukunft dem Schutz durch Massenvernichtungswaffen bzw. ihre abschreckende Wirkung anzuvertrauen.
Unter uns Christen schälte sich damals nach und nach die Überzeugung heraus, dass sich hier für den Glauben ein Entweder-Oder auftat. Entweder setzten wir darauf, dass der Gott, den Jesus preist, die Welt in seiner Hand hält, oder wir versammeln uns unter dem atomaren Schild unserer Seite.

Zuerst musste die Entscheidung freilich in unserer eigenen Gemeinschaft, in unseren eigenen Kirchen fallen. Atomwaffen auch nicht als letzte verzweifelte Ultima Ratio, dieser Streit musste auch in den Kirchen erst einmal ausgetragen werden. Das Kirchen-, zugleich Bürgervolk, in Hannover ging vorne weg.
Im Sommer 2015 jährt sich die Vernichtung der Menschen von Hiroshima und Nagasaki nicht einfach nur auf die runde Zahl 70. Das Jahr 2015 beginnt dem Jahr 1983 und der Zeit davor zu ähneln; jenen Jahren, als wir angehalten wurden, der atomaren Abschreckung als der ultimativen Zukunftssicherung zu trauen.
Eindruck schinden durch den eigentlich überflüssigen Verweis auf die Massenvernichtungswaffen, von der jede Seite weiß, dass die andere sie in dieser und jener Spezifikation hat. Im verbiesterten Ukraine-Konflikt der dort ineinander verhakten Atommächte wird das zunehmend zur wohlfeilen Taktik. Der Ton des einen mag rüpeliger klingen als die Replik der anderen. Gemeinsam aber machen sie die Wortspiele um Tod und Leben der Menschheit wieder salonfähig.

Darum ist es an der Zeit, dass die christlichen Gemeinden unseres Landes das „Nein ohne jedes Ja“ 2015 aus gegebenem Anlass wieder zu ihrem Ruf machen, wie 1983. Auch heute können Christenmenschen nicht anders, als zuerst für sich persönlich den Verzicht auf den Schutz von Massenvernichtungswaffen zu erklären – und warum dann nicht auf den Schutz durch Kriegswaffen überhaupt?
Aber anschließend, nach dieser Selbstvergewisserung, müssen unsere Kirchen es wagen, 70 Jahre nach Hiroshima mit ihren Namen einzustehen für die Forderung nach tatsächlichem Loslassen unseres Staates. Loslassen der letzten Zipfel atomarer Kriegsfähigkeit, der sog Teilhabe. Solche Zipfel atomarer Kriegsfähigkeit verbergen sich hinter der weiteren Duldung von mindestens 20 US-Atombomben auf dem Flugplatz Büchel und dem Einsatztraining deutscher Kriegspiloten für den Abwurf dieser Vernichtungswaffen.

1983, 2015, dann wieder Pause? Nein, es reicht nicht, wenn wir Christenmenschen uns in offensichtlichen Krisenjahren mit einem kompromisslosen Nein zur atomaren Zukunftssicherung zu erkennen geben. Seit die Menschen in Nagasaki am 9. August 1945 vergingen, ist offenkundig, dass Schöpfung und Menschheit nicht mit Geist und Höllenmacht der Massenvernichtungswaffen leben können. Was sind da 70 Jahre? Nicht mehr als die ersten Meter auf einem unbekannten Weg, auf dem wir nie stürzen dürfen.
Wem unter uns wird da die Gnade zuteil, jene wenigen Worte zu formulieren, mit denen jede Christin, jeder Christ auf Erden sein „Nein ohne jedes Ja“ vor Gott und den Menschen bekennen kann?

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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