Tausend Jahre wie ein Tag

Fastenaktion 2013, 11. März

„Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist.“ Dieser Satz aus dem 90. Psalm wird jeden Tag irgendwo in Deutschland bei christlichen Beerdigungen nachgesprochen. Er setzt Maß und Spielräume unseres Lebens in Beziehung zu dem, der es geschenkt hat. Er dokumentiert nicht Resignation. Er ist Wegweiser zu einer Geborgenheit, die noch unendlich viel mehr umfasst als meine Zeit.

Heute erinnern sich die Menschen in Japan an beides: an den langsam in ihre Geschichte eingehenden Horror von Beben und Tsunami – und an den auf unabsehbare Zeit andauernden Horror der technischen Katastrophe von Fukushima.

Da will ich den törichten Versuch wagen: ich nehme die Zeit-Proportionen des Psalmgebets wörtlich. Nach allem, was wir heute wissen, ist der moderne Mensch, der Mensch wie du und ich, erstmals vor etwa 160.000 Jahren im südlichen Afrika aufgetreten. Vor 40.000 Jahren, plus-minus, haben wir endgültig die Konkurrenz der Neandertaler abgeschüttelt. Ob allein mit der Keule oder auch durch Raub der Neandertalerinnen, wer weiß! Übersetzt in die Proportionen des Psalmgebetes hieße das: unseresgleiches gibt es allenfalls seit Anfang Oktober. Alleinherrscher auf Erden sind wir aber erst seit dem 1. Februar.

Wieder einmal liefern mir die uralten Sinnworte der Bibel den Beweis, dass sie punktgenau für unsere Zeit passen. Der heilige Geist muss da wirklich seine Finger im Spiel haben.

Wie wir alle wissen – obwohl wir´s eigentlich nicht wissen wollen: die exakten Tabellen der Atomphysik rechnen bei den nuklearen Zerfallsprozessen mit Zeiträumen, zu denen die Geschichte des homo sapiens in einem lächerlichen Missverhältnis steht. Alle Meinungsverschiedenheiten der ExpertInnen beiseite gelassen, produziert ein stinknormales AKW im mehrjährigen Betrieb mit Sicherheit Ultragifte, die sich während der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte nicht in Wohlgefallen aufgelöst hätten. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, dass die Schöpfung uns nicht mit Sinnesorganen zur Wahrnehmung radioaktiver Strahlung ausgestattet hat.

Physikalische Tatsachen, bei weitem sicherer als das Amen in der Kirche. Einige Jahrestags-Meldungen vom Aufräumdienst in Fukushima liefern dazu den denkbar verrücktesten Kontrast. Die Meldungen, meine ich, nicht die im Hochrisiko arbeitenden Menschen. Vergleichsweise harmlos ist da noch die Ansage, man werde die Ruine schon in etwa 40 Jahren beseitigt haben. Alle, die vom Fach sind, schütteln den Kopf.

Richtig böse macht mich die Neuauflage des „Krebspokers“ von Tschernobyl. Die Opfer empfinden ihn bis heute als Hohn. Seinerzeit musste man den Eindruck haben, die Sowjetunion selig und die zuständige UNO-Agentur würden die Krebs-Statistik von Tschernobyl auf das Ausmaß einer ärgerlichen Grippewelle herunterdefinieren. Opfergruppen und unabhängige MedizinerInnen wurden in den Ruf von Panikmachern abgedrängt. Ähnliches scheint nach Fukushima Politik zu werden. Wir sollten all denen danken, die in Japan und international dagegen halten. Strahlenkrankheiten sind in Lebensspannen und Generationen zu beobachten und zu messen.

Vollends absurd wirken verbale Beruhigungspillen zum zweiten Jahrestag, wenn man bedenkt, an welchen Problemen sich die Menschen vor Ort einstweilen und noch auf unabsehbare Zeit abarbeiten: es kann gar nicht darum gehen, die Ärmel hochzukrempeln und in den geborstenen Reaktoren Ordnung zu schaffen. Zuerst müssen die Roboter konstruiert und gebaut werden, die diesen Job eines Tages erledigen können. Menschen sind und bleiben dafür biologisch absolut ungeeignet.

Und dann muss ein gewaltiger See unsäglicher Todesbrühe für alle Zeiten von der Biosphäre abgeschottet werden. Machen wir, eines Tages, vielleicht! Aber vorher wartet da noch ein anderer Job. Erstmal muss am Grund der drei GAU-Reaktoren das pausenlose Nachfließen der Todesbrühe in die Erde Japans gestoppt werden. Kein Mensch wird das je mit Fertigbeton-Schlauch oder Superplastikfolie bewerkstelligen können.

Gemeinsam haben wir Erste-Welt-Menschen uns vor rund einem halben Jahrhundert auf diesen absolut unbiologischen Weg Richtung Wohlstand eingelassen. Der einzige Neuwagen meines Lebens, ein Mitsubishi, ist mit Atomstrom gebaut worden. Diese Behauptung kann ich ohne weitere Recherche wagen. Sehr viel mehr, bei Lichte besehen entbehrliche, Güter und Dienstleistungen meiner Verbraucherkarriere gehen aber auf einheimische AKWs zurück.

Selbstverständlich müssen die Risiken des „Atomausstiegs“ politisch kontrolliert und gesteuert werden. Aber es wird nicht gehen ohne Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die bereit sind, sich die Sache mit den tausend Jahren klar zu machen – ob sie die Bibel kennen oder nicht.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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