Wasser: weniger geht nicht!

Fastenaktion 2013, 23. März

Der robuste kleine Pokal aus recyceltem Altglas ist zu einem vertrauten Utensil meines Alltags geworden. Seit einem Schlaganfall weiß ich, wie wichtig es ist, genug zu trinken. Das ist schließlich natürliche Blutverdünnung. Zweieinhalb, drei Liter Flüssigkeit täglich wollen aber erst einmal zusammenkommen. Kleine Rituale können dabei helfen. So kommt das Trinkglas aus dem Eine-Welt-Laden ziemlich regelmäßig in der zweiten Tageshälfte zum Einsatz, wenn die morgendliche Kaffeekanne leer ist. Gefüllt mit unserem schmackhaften Leitungswasser steht es in Griffweite: am Computer, in der Leseecke, ja – auch am Fernseher. Wenn´s gut läuft, summiert sich der beiläufige Wasserdrink dann nach und nach auf einen ganzen, gesundheitsfördernden Liter.

Wasser, das Lebensmittel Nummer Eins, neben den Nahrungsmitteln gleichgewichtiger Gegenstand des Menschenrechtes auf Nahrung und Schicksalsfrage der Menschheit, heute schon, und erst recht morgen. Dennoch, ich brauche den kleinen Psychotrick mit dem Pokalglas, um meine Sinne zu kitzeln und genug von dem im Überfluss vorhandenen Urquell zu konsumieren. Diese Trägheit ist kein moralischer Defekt. Sie ist Niederschlag der dankenswerten Tatsache, dass ich in einem Land mit gesicherter Wasserversorgung lebe.

Wann bin ich denn hier in Deutschland jemals in schmerzhafte Berührung mit den Notständen rund um Trinkwasser und Abwasser gekommen, die für mehr als zwei Milliarden Menschen eine drückende Alltagslast darstellen?

Der gefährlichste, mit Sicherheit häufigste und für unser Empfinden am ehesten peinliche Mangel ist der an den hygienischen Zuständen von Klos und Wasserquellen. Mit meinen Kindheitserinnerungen an die Schöpfkellenaktionen zur Leerung unserer Plumsklos kann ich vielleicht noch bei meinen Enkeln Eindruck schinden. Aber diese „Donnerbalken“ waren vollwertige Klos, weit genug entfernt von Haus und Brunnen. Geruchlich war am nächsten Morgen in der Schule auch nichts mehr zu merken.

Unser Leitungswasser ist okay und sogar lecker, sobald wir nach mehrtägiger Abwesenheit ein paar Minuten lang eine bräunliche Brühe haben ablaufen lassen. Unsere Installationen sind nun mal Vorkriegsware – vor dem Ersten Weltkrieg, wohlgemerkt. Alles in allem können wir aber hinter die internationale Wasser-Forderung „safe/sicher“ einen Haken machen.

Die wichtigste der vier Wasser-Forderungen lautet natürlich „ausreichend“. Ausreichend für alles, wozu der Mensch Tag für Tag Wasser braucht. Weil es lächerlich wäre, die eine oder andere stundenweise Reparatur-Abschaltung des Wasserwerkes ins Feld zu führen, fällt mir eigentlich nur meine Frau in ihrer Eigenschaft als Badenixe ein. Wenn sie in heißen regenarmen Sommerwochen mal ein Vollbad nimmt, lässt sie das shampoo-freie Gewässer anschließend in der Wanne. Am nächsten Morgen beginnt dann der Ameisenlauf mit zwei Wassereimern in den Garten, jedesmal 30 Stufen hinunter und wieder herauf. Die halb verdursteten Gemüsepflanzen kommen gemäß einer gärtnerischen Dringlichkeitsliste an die Reihe. Wasser für die Nahrungserzeugung ist immer mit gemeint, wenn die Forderung nach „ausreichendem“ Wasser erhoben wird

„Erreichbar“ – Forderung Nummer Drei – war Wasser für uns immer, trotz allen Wechselfällen, die zu einer Kriegskinder- und Flüchtlingsbiographie gehören. Wasser vom Brunnen bzw. vom Nachbarn haben wir beide ins Haus getragen, die eine in Thüringen, der andere in der Trümmerstadt Wattenscheid und danach im Münsterland. Aber das waren ein paar Schritte vor die Tür, allenfalls auf die andere Straßenseite. Bedrohlicher Kriegsschrott lag auch nicht im Wege, so wie heute für viele wasserholende Mädchen und Jungen in ehemaligen Kriegsgebieten. Beide sind wir wegen dieser häuslichen Pflicht weder verspätet noch erschöpft in der Schule angekommen.

Bleibt die Forderung nach „bezahlbarem“ Wasser. Ehe ich hier mit Mutmaßungen um mich werfe, habe ich mir die aktuelle Rechnung unseres Wasserversorgers rausgeholt. Ohne die Energiekosten für das Warmwasser, also für Frischwasser und Abwasserservice, müssen wir etwa 1,2 Prozent unseres Nettoeinkommens hinblättern. Das mehr als Nichts. Aber so gut wie Nichts verglichen mit den Wasserrechnungen armer Leute in städtischen Elendsviertel der Südkontinente. Oder im Umland mit Agrargiften kontaminierter Ananas- oder Bananenplantagen. Weil du arm bist, musst du zehn, zwanzig Prozent deines Lohns oder mehr für dein bisschen Wasser bezahlen!

Mit diesem bösen Ist-Zustand wird die Menschheit kaum einigermaßen heil durch das 21. Jahrhundert kommen. Einen großen, wachsenden Teil der Menschen allein zu lassen mit den Existenznöten, die hinter den vier Wasserforderungen stecken, bedeutet mindestens fahrlässige Gefährdung des Weltfriedens.

Darum hebe ich meinen Recycling-Pokal und grüße Alle, die für die Erfüllung der vier Wasser-Forderungen arbeiten und schwitzen. Ich bin gern mit ihnen im Bunde.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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